Gemeindeverwaltung in alter Zeit
In früheren Jahrhunderten hieß der Ortsvorsteher Schultheiß. Er hatte die Interessen der Landesherrschaft im Ort zu vertreten. Anfangs wurde er vom Staat auf Lebens-zeit ernannt, später, vom 17. Jahrhundert an, durfte die Gemeinde selbst ihren Schultheiß wählen, er wurde dann anschließend von der Regierung bestätigt und vereidigt. Dem Schultheiß zur Seite standen zwei Heimbürgen oder Bürgermeister, sie vertraten die Interessen der Bürger gegenüber der Staatsgewalt. Ihre Befugnisse entsprachen denen des heutigen Gemeindepflegers.
Anfänglich wurde vor wichtigen Entscheidungen stets die ganze Gemeinde angehört. Da die Bauern diesen Zeitverlust jedoch auf die Dauer nicht hinnehmen wollten, wählten sie schließlich aus ihrer Mitte einen Ausschuss, der für sie die Interessen der Bürger vertreten sollte. In Mittelstadt nannte man diese Leute im Jahre 1522 die »von der Gemeinde«, 1864 ist hingegen von den bürgerlichen Kollegien die Rede, bestehend aus sieben Gemeinderäten und einem Bürgerausschuss von ebenfalls sieben Personen. Die Gemeinderäte wurden auf 6 Jahre, die Mitglieder des Bürgerausschusses auf z Jahre gewählt. Die Gemeinderatsprotokolle lassen erkennen, dass der Bürgerausschuss nur bei besonderen Anlässen zur Beratung hinzugezogen wurde, so bei Ämterbesetzungen und in allen Fragen der finanziellen Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde.
Bis zum Jahre 1829 hatten diese bürgerlichen Kollegien über das Wohl und Wehe von Reicheneck und Mittelstadt zu entscheiden. Erst von da an wurde Reicheneck selbständige Gemeinde. Die Aufsicht über Gemeindeverwaltungen führte das Oberamt Urach, dessen Vorsteher ein Vogt war; er wurde für gewöhnlich Oberamtmann genannt.
Gefürchtet waren in den Gemeinden die Visitationen, auch Ruggericht genannt, durch den Oberamtmann. So mussten sich die Mittelstädter Bürger 1735 von diesem sagen lassen, sie entheiligten den Sabbat dadurch, dass sie des Sonntags in den Wirtshäusern händelten, die Pferch auf den Weiden hin- und hertrügen, in den Häusern backten und schneiderten. Andere unterstünden sich sogar, während des Kirchgangs Pfeife zu rauchen und mit gefüllter Pfeife bis vor die Kirchentür zu kommen. Der Einwohnerschaft von Reicheneck wurde die »sowohl nötige als auch nützliche Erinnerung« erteilt, »von nun an hinfür samt ihren Kindern fleißiger als bisher die Kirche und Vesperlektionen zu besuchen und sich deren nicht mehr durch liederliche Arbeit zu entziehen, auch wenn sie dareinkommen, ihre Gesangbücher fleißiger mitzubringen, die Zeit aber nicht mit Schlafen und Schwätzen zuzubringen, eingedenk zu sein, dass aller Gottesdienst Gott zu Ehren und zu ihrer Seele Heil und Seligkeit geschehen solle.« Bei einem 1750 unversöhnlich scheinenden Streit zwischen Gemeindeverwaltung und hiesigem Pfarramt erhielt der Schultheiß eine saftige Rüge vom Ruggericht: » . . . da insbesondere an dieser allhiesigen großen Verwirrung zwischen dem geistlichen Pfarramt und seinen Zuhörern ganz ohne allen Fehl der Schultheiß und die Richter . . . die meiste Schuld haben . . . und dass sie bisher in bösem und feindseligem Erzeugen ihrer Gemeind mit bösem Exempel vorangegangen und viele zu leichtsinniger Unterschreibung vieler Klagpunkten verleitet, davon sie nicht einmal das geringste Wissen hatten . . .« 1838 wird dem Schultheißen und seinen Richtern das gerechte Mißfallen des Oberamts wegen Saumseligkeit ausgesprochen. An anderer Stelle wird dem Schultheißen Schläfrigkeit in der Amtsführung vorgeworfen oder der Gemeindeverwaltung angekündigt, die Beschwerde nach Stuttgart weiterzuleiten. 1838 wird »dem Schulmeister und Mesner die Auflage gemacht, das Läuten der Glocke und das Aufziehen der Kirchenuhr, wenn er diese Verrichtungen nicht selbst besorgen will, durch einen anderen tüchtigen Mann, nicht aber durch Knaben versehen zu lassen. Das Läuten der Morgenglocke am Sonntag darf nicht mehr unterlassen wer-den. Auch wird dem Schulmeister Bausch aufgegeben, die Kirche reinlicher zuhalten.« 1769 hatte das Ruggericht in Mittelstadt ein echtes Halbstarkenproblem zu behandeln: »So hat man auch nicht ohne Missfallen vernehmen müssen, wie bisher die ledigen Burschen auf der Kirchen-Empore in denen von deren Stühlen allerlei Mutwillen ausgeübt und Steine und andere Sachen auf die ledigen Weibsbilder während des Gottesdienstes heruntergeworfen und also das Haus des Höchsten höchstfreventlich zu entheiligen sich nicht gescheut . . . Weil nun aber diesem verfluchten, höchst ärgerlichen und anstößigen Benehmen . . . nicht länger zugesehen werden kann, wird durch das Oberamt verordnet, dass ... dann insbesondere dem Schultheißen aufgegeben wird, beim ersten Anblick einer Unordnung die Schuldhaften sogleich bei der Kirchentür wegnehmen und sie ins Zuchthäusle für einige Zeit setzen zu lassen . . .« (Hier ist wohl das Gefängnis im Rathaus gemeint.)
Jedes Jahr wurden die Gemeindediener vom bürgerlichen Kollegium neu gewählt. So wurden am YY. Juli 1864 folgende Personen in ihr Amt eingesetzt:
1. Jakob Knecht als Waagmeister. Er hat für einen Waagschein 1 Kreuzer zu erheben und verpflichtet sich, jährlich z Gulden Pachtgeld an die Gemeinde zu bezahlen.
2. Georg Müller als Obstbaumwärter mit einem Gehalt von 50 Gulden.
3. Georg Lutz als Amtsdiener mit einem Gehalt von 90 Gulden.
4. Johannes Schlotterbeck als Polizeidiener mit einem Gehalt von 5o Gulden. Als Flugschütz 6 Gulden, für das Reinigen der Brunnen 6 Gulden.
5. Johannes Schairer als Wald- und Feldschütz mit dem Gehalt von -wo Gulden.
6. Georg Kern als Nachtwächter mit dem Gehalt von 45 Gulden. Die 2. Nachtwächterstelle musste wieder neu besetzt werden, da der seitherige Nachtwächter Wurst sein Amt niedergelegt hat.
7. Gottlieb Röhm als Wegknecht mit dem Gehalt von 4o Gulden.
8. Martin Allgaier und Georg Kern als Maulwurfsfänger mit je 36 Gulden jährlich. Es wird beschlossen, die Maulwürfe nach Stücken fangen zu lassen und für jedes Stück 3 Kreuzer aus der Gemeindekasse zu bezahlen, es werden aber nur angenommen von Maulwurfsfängern, die sich hierzu beim Ortsvorsteher gemeldet haben, diesen wird unter Strafandrohung aufgegeben, von einer anderen Markung keine zu liefern; die Maulwürfe sind dem Ökonomiepfleger Knecht abzuliefern.«
9. Als Fronaufseher Jakob Knecht mit einem Gehalt von jährlich 4o Gulden.
10. Als Brotschauer Jakob Knecht, Gemeinderat Beck und Gemeinderat Decker. Sie erhalten für jeden Umgang 15 Kreuzer.
11. Als Gläsereicher werden mit dem Gehalt von Y Gulden nebst den gesetzlichen Gebühren, die von den Wirten zu erhalten sind, auf 3 Jahre Gemeinderat Schairer und Jakob Knecht gewählt und auf ihren Diensteid verwiesen.
12. Als Fleisch- Vieh- und Schafschauer mit dem Gehalt von 8 Gulden jährlich wurden auf 3 Jahre gewählt: Gemeinderat Schairer und Georg Baiha, Metzger.
13. Die seitherigen Spritzenmeister Christian Müllerschön, Wagner, Matthäus Keppeler, Schmid und Christian Adam Lutz, Dreher, wurden mit dem Gehalt je 2 Gulden wieder auf 3 Jahre gewählt.
Wir sehen, dass die Gemeindediener im Jahre 1865 leidlich besoldet wurden. wo Jahre früher erhielten sie viel weniger. Der Feldschütz erhielt z. B. nur 7 Gulden, also 93 Gulden weniger als sein Kollege um 1865. Ganz früher waren alle Gemeindeämter mehr oder weniger ehrenamtlich. Die Gemeindebediensteten hielten sich wohl deshalb bei allen möglichen Anlässen auf Kosten der Gemeinde schadlos. Beim Ruggericht, bei den Wahlen der Heimbürgen, der Schützen, der Hirten, der Kelterknechte, der Hebamme, war immer ein Anlass gegeben, auf Kosten der Gemeinde zu zehren. »Wenn Schultheiß, Richter und die von der Gemeinde (Gemeindeausschuss) vor der Ernte den Ösch (die Äcker) oder im Herbst die Weingärten besichtigten, zehrten sie auf Kosten des Dorfes. Wenn die Heimbürgen den Kühen die Hörner abschnitten, wenn man die Gänse verlieh und ihnen die Flügel beschnitt, wenn die Heimbürgen einem neuen Hirten die Markung zeigten, wenn man die Mühle besichtigte oder im Frühjahr die Pferde, so war jedesmal ein Trunk oder eine Zehrung auf Kosten des Dorfes begründet.« (V. Ernst, OAB Urach 1909).
Aber auch andere Anlässe, so die Gemeindefeste, wie Fastnacht usw. boten Grund genug, sich auf Kosten der Gemeindekasse ein paar schöne Stunden zu machen. So heißt es in einer alten Mittelstädter Gemeinderechnung z. B. »Den Weibern nach altem Brauch für Hering und Wein an der äscherigen Mittwoch 5 Pfund Heller, 19 Schilling, 8 Pfennig.«