Der wunde Punkt
Ein jeder weiß, daß Mittelstadt
Bis heute keinen Bahnhof hat.
Nicht besser steht's mit Reicheneck,
Auch hier kommt man nur schlecht vom Fleck.
Die Eisenbahn — es ist fatal —
Braust leider nicht durchs Neckartal.
Ja nicht einmal die Straßenbahn
Pflegt hierzulande still zu stah'n.
Hier liegt gewiß, Ihr merkt es schon,
Ein Fehler in der Konstruktion!
Man hat es wirklich nicht bequem,
Es ist ein schauriges Problem
Wenn man bisweilen in der Stadt
'ne Arbeit und Besorgung hat.
Wie kommt man hin, wie fährt man los?
Die Schwierigkeit ist grandios!
Geht man nicht lieber gleich zu Fuß,
So bleibt nur eins — der Omnibus.
Ein praktisches Gefährt, jawohl,
Doch leider stets zum Brechen voll.
Er fährt wohl täglich seine Tour,
Getreu und pünktlich nach der Uhr.
Der Meister Lutz am Steuerrad
Bemüht sich redlich früh und spat,
Schiebt hin und her die Menschenfracht,
Doch um die Plätze — welche Schlacht!
Schon morgens, wenn der Nebel braut,
Hat sich ein ganzes Heer gestaut.
Kaum fährt die alte Kiste vor,
Stürzt sich der Meute wilder Chor
zur Türe, schwingt sich auf den Tritt,
Denn schließlich will ein jeder mit.
Man wird gepreßt und eingekeilt,
Auch Püffe werden ausgeteilt.
Ein jeder kämpft mit Vehemenz
Um sich und seine Existenz!
Im Innern fühlt man sich verstaut,
Des Wagens Bauch verdaut,
Verdaut die Menschenleiber ohne Zahl,
Man steht geschlängelt wie ein Aal.
Man klettert unter Puff und Stoß
Dem lieben Nachbarn auf den Schoß,
Man ächzt und stöhnt, man seufzt und lacht —
Noch immer tobt am Tor die Schlacht —
Noch immer, es ist einfach toll,
Wird aufgefüllt, wo alles voll,
Bis man zuletzt beisammen hockt
So dicht, daß schier der Herzschlag stockt.
Die Letzten nun mit Ach und Krach
Erklettern gar das steile Dach.
Dann geht es über Stock und Stein,
Und mancher denkt bei solcher Pein:
Es könnt' mein letztes Stündlein sein.
Ein jeder denkt, ich sitze hier,
Nicht einer spielt den Kavalier,
Nicht einer spricht zum Nebenmann:
Komm Joggeli, geh du voran!
Das ist vorbei — das war einmal,
An diesem Punkt gibt's keine Wahl.
Hier gilt nur Eins, Wohin du schaust,
Das stolze Recht der Männerfaust! —
Der Omnibus, Ihr merkt es wohl,
Er ist ein Zeichen, ein Symbol.
Es zeigt sich hier wie allerwärts:
Versteinert ist das Menschenherz.
Die Rücksicht — edle Menschenpflicht
Ist ausgeblasen wie ein Licht.
Es ist begreiflich, aber ach
Im Grunde ist es eine Schmach!
Ein weiser Mann kommt zu dem Schluß:
Es gleicht die Welt dem Omnibus