Über die Entstehung unseres Flurbildes
Wer eine Luftaufnahme der Mittelstädter Gemarkung oder die Flurkarte einmal aufmerksam betrachtet, dem fällt die starke Parzellierung der Fluren in viele kleine und kleinste Stücke, in sogenannte »Handtücher«, »Schnupftücher« und »Hosenträger« auf. So gab es 1909 bei einer Markungsfläche von 649 ha 230o Parzellen. Es werden seither trotz der Gründung eines Aussiedlerhofes nicht viel weniger geworden sein. Eine derart zerstückelte Flur in benachbart liegende Gruppen rechteckiger bis langstreifiger Ackerparzellen gleicher Pflugrichtung und verhältnismäßig gleicher Größe bezeichnet man als Gewannflur. Gehören dann noch die benachbarten Parzellen jeweils verschiedenen Besitzern, so nennt man dies dann Gemengelage. Unsere Flurform ist also die einer Gewannflur in Gemengelage.
Seit wann die Gewannflur allgemein besteht, ist schwer zu sagen. Urkundlich genannt wird sie zum ersten mal im 8. — 9. Jahrhundert. Sie kann aber in einzelnen Fällen noch älter sein. Jedoch nicht alle Gewanne sind gleichen Alters, was weiter unten noch ausgeführt werden wird.
Im Abschnitt »Die ersten Höfe« wird gezeigt, dass unsere heutige Gewannflur aus ehemaligen Blockfluren entstanden ist, deren Umfang aus der heutigen Flurkarte mit Hilfe der Flurnamenkunde mit großer Wahrscheinlichkeit noch bestimmt werden kann. Aus ihnen erwuchs wohl im Wesentlichen die spätmittelalterliche Gemarkung unseres Dorfes. Hinzu kamen noch Wälder und Weiden. Wesentlich anders hat unsere Gemarkung möglicherweise im frühen Hochmittelalter ausgesehen, in der Zeit um 900 also. Es scheint so, als ob damals oder noch früher die Reichenecker Gemarkung zur Mittelstädter dazugehört habe. Dafür sprechen folgende Tatsachen:
1. Reicheneck und Mittelstadt besaßen seit uralten Zeiten die gleichen Freiheiten der jährlichen Steuer vom Umgeld und vom Landschaden, von Steuern also, die in der Regel jede Gemeinde bezahlen musste. (Die Steuerliste für Mittelstadt von 1470 führt zunächst 23 Steuerpflichtige auf und dann unter der Überschrift: »Dies sind jetzt mins gnedigen Herrn und auch vormals als die sagen net geschätzt worden« 13 weitere. Viktor Ernst stellt in der OAB Urach hier die Frage, ob dies nicht auf eine frühe Halbierung des Dorfes hinweist.)
2. Erst 1567 wurde durch den Herzog Christoph die bis dahin gemeinsame Weide getrennt.
3. Reicheneck war bis 1829 Teilgemeinde von Mittelstadt. Es scheint demnach so, als ob Reicheneck als späte Ausbausiedlung von Mittelstadt aus gegründet worden sei. Doch diese Annahme darf nur mit äußerster Vorsicht geäußert werden. Durch die Reichenecker Markung wäre dann die Mittelstädter um 226 ha größer gewesen, so könnte man annehmen. Doch trügt dieser Schluss sehr wahrscheinlich, wenn man folgende schwerwiegende Tatsachen in seine Überlegungen mit einbezieht: In der Lehensbeschreibung von 1760 wird der Reutlinger Weg auch Markweg genannt.
Das Wort Mark bedeutet nun immer Grenze, sei es Gemarkungsgrenze oder Gaugrenze, so dass wir Markweg getrost mit Grenzweg übersetzen dürfen. Ferner sagt uns der Flurname Bei den Kreuzsteinen ebenfalls, dass sich hier eine Grenze befunden haben muss, denn Steinkreuze sprechen mit großer Wahrscheinlichkeit für Grenzsetzungen.
Ein Teil der Flur östlich der Reutlinger Straße heißt zudem noch Tal, eine Bezeichnung, die in keiner Beziehung zum Gelände selbst steht. Sollte dieses Tal nicht bedeuten, dass hier der Gau Swiggerstal begann, im Volksmund eben nur Tal genannt? So könnte man nun auf Grund dieser angeführten Tatsachen folgern, dass der Markweg vielleicht die Grenze zwischen dem alamannischen Gau Swiggertal und dem Pfullichgau bildete. Das wäre sehr gut denkbar, da diese Grenze ohnehin irgendwo zwischen Mittelstadt und Oferdingen verlief.
Dann aber hätte alles Land südlich der heutigen Reutlinger Straße einstmals zu einer fremden Gemarkung gehört. Ob dies für die Fluren Rebstock und Blauhut auch zutrifft, ist schwer zu entscheiden. Es ist jedenfalls verwunderlich, in unmittelbarer Nähe des Dorfes eine Weide, eben den Blauhut, zu finden. Diese Weide, die auf bestem Ackerland lag, ist nur verständlich, wenn sie Allmende, d. h. Grenzflur einer fremden Gemarkung war.
Ähnliche Verhältnisse finden wir in der Flur Auf dem Hof. Hier zeigt uns schon der Flurname, dass an dieser Stelle einstmals eine Hofstatt stand, die später aus unbekannten Gründen wieder abging. Wir haben es hier also mit einer sogenannten Wüstimg zu tun, deren ursprünglicher Name noch nicht bekannt ist. Vor dieser Flur auf dem Hof befindet sich nun der Ziehen Boom, der die Parzellen i8o1 bis 1825 umfasst. Diese Bezeichnung, die in heutiger Sprache übersetzt Zielender Baum bedeutet, besagt nichts anderes, als dass sich hier das Ziel, das Ende der Gemarkung also, befunden hat. Auf Grund dieses Flurnamens dürfen wir also unbedenklich annehmen, dass die jenseits dieser Grenze liegenden Fluren Auf dem Hof, Lange Äcker und Brühl anfänglich nicht zur Mittelstädter Gemarkung gerechnet haben, sondern erst später ihr einverleibt wurden. Das Flurkartenbild deutet darauf hin, dass auch das Hardt dazugezählt haben muss. Aber das sollte noch genauer untersucht werden. In den Güterbüchern von 1760 heißt der heutige Hardtwald auch Bebenhardt. Im Bestimmungswort Beben dieses zusammengesetzten Hauptwortes steckt nun aber der althochdeutsche Personenname Pebo oder Pabo. So dürfen wir schließen, dass dieser Wald einmal einem Alamannen namens Pebo gehörte, der vielleicht auch der Gründer des Hofes im heutigen Gewand Auf dein Hof gewesen sein könnte.
Es ist nicht festzustellen, wann diese genannten Fluren der Mittelstädter Gemarkung zugeschlagen wurden. Auch die späteren Besitzverhältnisse geben darüber keine Auskunft. Ebenfalls Bestandteil von Wüstungsfluren ist der Auchtert. Es ist jene Wiese, um die es 1291 in einem Streit zwischen dem damaligen Mörsberg- (Pliezburg-) Vogt Johannes von Wurmlingen und dem Kloster Pfullingen ging. Aus einer uns überlieferten Urkunde geht dies einwandfrei hervor. 1334 lagen die zur Burg gehörenden Güter schon wüst, darunter sicherlich auch diese Wiese. Wahrscheinlich ist um diese Zeit der Auchtert von der Gemeinde Mittelstadt erworben worden. Später erscheint er nämlich als Fleckenbesitz. Von der Zeit an besaß Mittelstadt zwei Auchterten, einen vor dem Neckar, einen dahinter. Der letztere wird jedenfalls ursprünglich von den Mörsbergherren als Auchtert, d. h. als Nachtweide für das Zugvieh benützt worden sein.
So ist auch unsere Gemarkung kein von Anfang an fertiges Gebilde, sondern ist wie andere Gemarkungen auch etwas Gewordenes, Gewachsenes. Das gleiche gilt für die Fluren und Gewanne.
Ursprünglich gab es sicher keine Gewanne, sondern die wenigen Höfe in Muthilstat besaßen ungeteilte Blockfluren. Die Flurkarte erlaubt uns diesen Schluss. Zu irgendeinem Zeitpunkt wurden diese Höfe dann zerschlagen, sei es im Erbgang oder durch ihre adeligen Besitzer in Folge von Verkäufen, Schenkungen oder Beleihungen. Die einen erlitten dieses Schicksal früher, die anderen später. Der Y. Pfullinger Hof, der heutige Zehnthof, ließ 176o noch deutlich erkennen, dass er einst ungeteilter Besitz eines einzigen großen Gutes war. Zu ihm gehörte der gesamte Kapf, ein Besitz von 13 ha. im Wesentlichen aber war das Bild der heutigen Gewannflur um 1500 schon längst fertig. Fortgesetzte Teilungen zerstückelten die Güter hernach immer mehr. Die Güterbücher von 1682 und 1760 geben davon beredte Beispiele. So ist in den Vorbemerkungen zum Güterbuch von 1682 folgender Satz zu finden: » . . . und durch vorgegangene Teilungen der Güter ist das bisherige Güterbuch dergestalt verändert, verschrieben und verschmiert worden, dass man mit nicht geringer Mühe und Sorg die hin und her zerstückelten Güter . . . zusammensuchen . . . muss.«
Die folgenden Beispiele zeugen davon, dass dieser Schreiber nicht unrecht hatte: So besitzt 1682 Junghans Müller den halben Teil an drei Vierteln Wiesen, den dritten Teil an eineinhalb Viertel Baumgarten und den vierten Teil an einem halben Morgen Hanfland. Hans-Jakob Müller, einer seiner Nachfahren, besitzt 1730 gar nur noch den siebten Teil an einer Wiese auf Nonnenwasen. Die später zugefügten Randbemerkungen des Güterbuches offenbaren die ganze Tragödie der fortgesetzten Güterteilungen.
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass Mittelstadt im sogenannten Realteilungsgebiet liegt, in dem von alters her die Güter der Eltern immer wieder zu gerechten Stücken unter die Kinder verteilt wurden. Diese Realteilung mag mit ein Grund sein für die Entstehung der Gewannflur.
Die Erben versuchten nun, irgendwo auf der Gemarkung wieder Äcker dazuzukaufen, um einen einigermaßen wirtschaftlichen Besitz zu erhalten; das Zeigen uns die Kauf- und Verkaufsbücher deutlich. Aus diesen An- und Verkäufen entstand die Gemengelage, die dazu führte, dass die Äcker der Bauern oft in kleinen Stücken über die ganze Gemarkung verstreut liegen, ein auf die Dauer gesehen unhaltbarer Zustand.
Zusammenfassung: Diese kleine Untersuchung hat gezeigt, dass die heutige Gemarkung und die frühere Urgemarkung nicht übereinstimmen. Die jetzige Markungsgröße war nicht von Anfang an da, sondern entstand erst im Laufe der geschichtlichen Entwicklung. Vergrößert wurde sie im Laufe der Zeit in jedem Fall um die Wüstungsfluren Auf dem Hof, Lange Äcker, Brühl, Hardt (?) und Auchtert. Ferner kamen wahrscheinlich alle Fluren südlich des Reutlinger Weges irgendwann hinzu, da die ursprüngliche Bezeichnung Markweg und die Fluren Bei den Kreuzsteinen und Tal auf eine frühere Grenzziehung hinweisen. Wir gehen vielleicht nicht fehl in der Annahme, dass sich die Grenze zwischen den alamannischen Gauen Swiggerstal und Pfullichgau längs des Reutlinger Weges, des Markweges, befand. Andererseits wurde unsere Gemarkung vermutlich wieder um den Reichenecker Besitz verkleinert. Wie weit die Mittelstädter Urmarkung über Reicheneck hinausreichte, ist schwer zu sagen. Hier liegt noch alles im Dunkeln.
Die Aufteilung der Fluren in Gewanne steht im Zusammenhang mit der Zerschlagung der ersten Mittelstädter Höfe. Diese Vorgänge dürften teilweise ins 9. Jahrhundert zurückreichen. Die starke Parzellierung der Äcker entstammt dagegen aus der Realteilungssitte. Diese führte zusammen mit den An- und Verkäufen der Parzellen im Laufe der Jahrhunderte zur heutigen Gemengelage der Äcker, die wir als einen bedauerlichen Zustand unserer örtlichen Landwirtschaft ansehen müssen.