Muthilstat
Im Jahre 1268 heißt unser Ort laut einer alten Urkunde Muthilstat. Wir wissen aber aus keiner anderen Urkunde, wie er um 600 n. Chr. geheißen hat, ob Muthilstat nach dem Personennamen Muthilo oder möglicherweise auch anders, bleibt vorläufig im Dunkeln. Sich hier übereilig endgültig festzulegen, wäre unklug. Sicher ist, daß unser Ortsname aus einem Bestimmungswort muthil und einem Grundwort stat zusammengesetzt ist. Stat könnte so viel wie Stätte oder Stelle bedeuten. Es würde in unserem Falle möglicherweise die frühere Furt über den Neckar bezeichnen oder auf die römische Siedlung in der Gegend der heutigen Kirche hinweisen. Das Grundwort stat ist jedenfalls sicherlich so alt wie jenes im Ortsnamen Cannstatt, das gewiss auch eine frühere Bedeutung des Wortes stat enthält.
Das Bestimmungswort Muthil wird in neuen Orts- und Flurnamenbüchern als Personennamen Muthilo gedeutet. Es bleibt vorläufig nichts anderes übrig, als sich dem anzuschließen. Unter einigen Vorbehalten darf man dann also annehmen, dass Muthilostat die durch besondere geographische Verhältnisse (Furt oder Ähnliches) gekennzeichnete und altbekannte Stelle meint, bei der sich irgendwann ein Alamanne namens Muthilo niedergelassen hat, nach dem die Siedlung benannt wurde.
Mit dieser Annahme jedoch befinden wir uns mitten in der Geschichte der alamannischen Landnahme, und es ist zum Verständnis unserer besonderen Mittelstädter Verhältnisse unerlässlich, die geschichtlichen Ereignisse dieser Zeit kurz darzustellen.
Um das Jahr 26o n. Chr. begannen die Alamannen den Limes zu überfluten. Die Römer räumten ihre Kastelle zum Teil kampflos; sofern sie sich wehrten, wurden sie einfach überrannt, die Soldaten erschlagen, die Befestigungen zerstört und die Lagerdörfer angezündet. Alles Land nördlich der Donau fiel damals in die Hände der Alamannen. Die folgenden zwei Jahrhunderte standen nun nicht etwa im Zeichen friedlicher Inbesitznahme des eroberten Landes; die Alamannen versuchten vielmehr immer wieder, gegen die neuen Grenzen an Hoch- und Oberrhein anzurennen, sie zu überschreiten und Beutezüge bis tief ins römische Reich hinein zu unternehmen. Diese hatten oftmals verheerende Rachefeldzüge der Römer in den nun alamannischen Kernlanden zur Folge.
Erst nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches im Jahre 454 n. Chr., unmittelbar nach der Ermordung des letzten Staatsmannes Aetius, begann die ungehinderte Ausdehnung der Alamannen über die bisherigen römischen Grenzen hinweg. In dieser Zeit erwuchs den Alamannen aber auch ein neuer Gegner, dem sie auf die Dauer nicht gewachsen waren: die Franken, Nachbarn der Alamannen im Nordwesten ihres Einflussbereiches. 496 kam es schließlich zur Schlacht zwischen diesen beiden Völkern; sie wurde zu Gunsten des Frankenkönigs Chlodwig entschieden, der vor Beginn des Kampfes gelobt hatte, Christ zu werden, falls ihm der Sieg zufallen sollte.
Es war nur der Vermittlung Theoderichs (Dietrich von Bern) zu verdanken, dass die Alamannen nur ihre nördlichen Wohnsitze und nicht das ganze Land räumen mussten. Die neue Grenze zwischen Franken und Alamannen verlief nun dort, wo noch heute die fränkisch-alamannische Sprachgrenze verläuft: Vom Hesselberg bei Wassertrüdingen über den Hohenberg bei Ellwangen, den Lemberg bei Affalterbach über den Hohenasperg bis zur Hornisgrinde und von da aus zu den Vogesen. Unser Gebiet verblieb also in alamannischem Besitz.
Die Gründung unserer ältesten Dörfer fällt in diese Zeit des ausgehenden 5. Jahrhunderts. Die Mehrzahl unserer Siedlungen entstanden jedoch im 6. bis 7. Jahrhundert, so zum Beispiel Pliezhausen (1052 Pliedolphishusin genannt); dort wurde 1929 am Südrand des Ortes ein Reihengräberfriedhof aufgedeckt.
Die ersten alamannischen Siedlungen, die sogenannten Ursiedlungen, zeichnen sich durch eine besonders günstige Lage in waldlosen Gebieten aus, oft in der Nähe von ehemaligen römisch-keltischen Siedlungen oder auf deren erschlossenem Grund und Boden gelegen. Die frühere Ansicht, die besagte, dass die Alamannen in Sippen gesiedelt hätten, ist nicht länger zu halten. »Urdörfer« in diesem Sinne gab es sicher nicht, die ersten Siedlungen waren Einzelhöfe auf der Gemarkung. So weisen unsere Fluren Auf dem Hof, Brühl und Lange Äcker auf einen solchen einzelstehenden alamannischen Hof hin. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte kamen neue Höfe hinzu, andere gingen wieder ab, wie jener Auf dem Hof.
Die nahe beieinander liegenden Höfe wuchsen nach und nach zu einem Dorf zusammen. Dieser Vorgang war im Falle Mittelstadt erst im 15. bis 16. Jahrhundert abgeschlossen.
Die ältesten Siedlungen sind auf Grund der Funde aus den Reihengräberfriedhöfen die Orte, die auf -ingen enden. In unserer Nachbarschaft sind das die Dörfer Ofer-dingen (iloo Onfridingen) Riederich (1100 Rüderichingen), Neckartenzlingen (iioo Tunzlingen) und Bempflingen (1090 Biemphelingin). Die Orte, die auf -hausen -dorf oder -stetten enden, sind etwas jüngere Gründungen. Mittelstadt in die Reihe der stetten-Dörfer einzuordnen, scheint mir aus obenstehenden und im Kapitel Martinskirche noch einmal ausgeführten Gründen als leichtfertig. Es besteht größere Wahrscheinlichkeit, dass es als Stat schon zur Römerzeit bekannt war, während das Bestimmungswort Muthil wahrscheinlich später dazugekommen ist. Eine etwas komplizierte Erklärung freilich, die aber der Wahrheit möglicherweise nähersteht als jede andere glatte Lösung.