Die Steinzeitjäger vom Lachenhau
Vor 12 000 Jahren bot unsere Gegend ein wesentlich anderes Bild als jetzt. Es war kälter als heute, denn die letzte Eiszeit war vor nicht allzu langer Zeit zu Ende gegangen. Dort, wo wir den gewohnten Anblick von Dörfern, Äckern, Wiesen und gepflegten Forsten haben, bestimmten damals lichte Wälder von Birken, Weiden und Kiefern das Gesicht der Landschaft, nur hin und wieder unterbrochen von weiten, Tundren ähnlichen, baumlosen Flächen. Menschliche Siedlungen gab es noch nicht. Aber dennoch war das Land nicht völlig menschenleer. Wahrscheinlich von Südfrankreich her wanderten Gruppen von Menschen in unser Gebiet ein, die sich im Aussehen von den heute lebenden kaum unterschieden haben. In Albhöhlen fanden sie Wohnung und Schutz vor der Witterung. Von dort aus durchstreiften sie als unstete Jäger, wahrscheinlich nur mit Tierfellen notdürftig bekleidet, unser Land. Blieben sie auf ihren Jagdzügen ihren Wohnhöhlen für längere Zeit fern, so errichteten sie auf Waldlichtungen vermutlich zeltähnliche leichte Hütten aus Stangen, Reisig und Tierfellen. Auf diesen Rastplätzen blieben sie so lange, wie die Gegend ihnen als tägliche Nahrung jagdbares Wild bot, bis der Winter anbrach oder ein anderer Anlass sie zum Weiterwandern bewog. Zogen sie dann fort, so liegen sie zurück, was unbrauchbar geworden war, unter anderem Werkzeuge und Waffen, die ausnahmslos aus Feuerstein, Knochen und Holz bestanden. Dann nahm die Natur wieder Besitz von dieser Raststätte einer namenlosen Menschengruppe; Regengüsse schwemmten Sand über sie hinweg, deckten zurückgelassenes Steinwerkzeug und die Holzkohlenreste der Feuerstelle zu; Sträucher und Bäume wuchsen und vergingen wieder auf dieser Stelle, Jahrtausende legten einen halben Meter Erde darüber — bis eines Tages der Zufall diesen Platz wieder aufdeckte und einen Blick in eine ferne Vergangenheit gestattete — wie bei uns im Vorderen Lachenhau. Als dort im Sommer 1962 die Reste eines römischen Gutshofes freigelegt wurden, stieg der Spaten der Ausgräber auf eine auffallend schwarze Bodenverfärbung, die deutlich die Umrisse einer ehemaligen Vertiefung zeigten, welche zweifellos in vorgeschichtlicher Zeit angelegt worden war. Vorsichtig wurde die mit kleinen Holzkohlestückchen durchsetzte schwarze Füllung der einstigen Grube Schicht um Schicht herausgenommen, und aus der zerbröselten Erde kamen nach und nach 25 Feuersteinwerkzeuge zum Vorschein: Klingen, Schaber, Kratzer, Stichel, Bohrer und eine querschneidige Pfeilspitze — Werkzeuge und Waffen einer mittelsteinzeitlichen Jägerhorde, die vor etwa 12 000 Jahren im Vorderen Lachenhau für eine Weile ihr Lager aufgeschlagen hatte, um dort zu jagen, zu fischen und zu leben. Die Funde befinden sich jetzt im Institut für Urgeschichte in Tübingen.
Mittelsteinzeitliche Klinge (links) aus dem Lachenhau. Der Abschlag rechts im Bild ist nicht genau zu bestimmen
Das Steinbeil vom Steinernen Gaul
Um 3000 v. Chr. bestimmte Eichenmischwald mit Eichen, Linden und Ulmen das Gesicht unserer Landschaft. Weithin dehnten sich lichte Wälder, unterbrochen von regenarmen Landstrichen, in denen die Steppenheide herrschte.
Es war die Zeit, in der unser Land die schwerwiegendsten Veränderungen seiner Geschichte erlebte: Aus dem Osten wanderten Völker ein, die Ackerbau und Viehzucht trieben, Bauern also, die die Sesshaftigkeit kannten und die bei uns sesshaft werden wollten.
Sie brachten den Pflug mit und die Hacke, den Webstuhl und die Töpferei, sie schliffen sich Äxte und Beile aus Grünstein und seidenglänzendem Serpentin, fällten damit Bäume und Wälder und bauten sich daraus Häuser, deren Wände sie aus Reisig flochten und mit Lehm verschmierten; das Dach deckten sie mit Stroh oder Schilf. Sie pflügten den Boden und bebauten ihn mit Einkorn, Emer, Gerste, Erbsen, Linsen, Ackerbohnen und Flachs. Auf Mahlsteinen zerrieben sie das Getreide zu Mehl und buken daraus ein säuerliches Brot. Den Flachs verarbeiteten sie zu Garn und woben sich daraus Kleider.
Zu einem Bauerndorf dieser Zeit — der Jungsteinzeit, gehörten mehrere Häuser. Ringsum war es von einem Dorfzaun umgeben. In der Nähe der Siedlung weideten Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen. Hunde bewachten die Anwesen.
Starb ein Dorfbewohner, so wurden seine Füße in Hockstellung an den Körper gefesselt; in dieser Lage wurde der Tote, auf der Seite liegend, ins Grab gelegt, mit Waffen und Werkzeug und gefüllten Speisegefäßen versehen, Beigaben für den langen Weg in das Jenseits.
Ein Jahrtausend lang lebten sie in unserem Land, die Bandkeramiker, die Rössener, die Michelsberger und die Streitaxtleute. Mit Vorliebe siedelten sie auf fruchtbarem Lößboden, doch kennen wir auch eine große Anzahl Stranddörfer von den Ufern des Federsees, des Bodensees und der schweizerischen Seen.
Ob auf dem fruchtbaren Lößlehmboden Mittelstadts Bauern der jüngeren Steinzeit gesiedelt haben, wissen wir noch nicht. Daß sie sich hier aufgehalten haben, ist sicher. Im Juni 1958 nämlich wurde am Steinernen Gaul ein Steinbeil gefunden, 11,5 cm lang, aus Serpentinstein geschliffen und mit einem ovalen Schaftloch versehen. Irgendein Steinzeitbauer hat es aus uns unbekannten Gründen verloren; 5000 Jahre später wurde es von einem Schüler gefunden. Vielleicht ist dies der erste Hinweis auf eine mögliche jungsteinzeitliche Siedlung in unserem Gemarkungsbereich. Wir wissen es noch nicht.
Das Steinbeil befindet sich jetzt im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart (Inv.-Nr. V 59/3).
Die Urnenfelderleute vom Rebstock
Ein Jahrtausend ging ins Land. Die wärmeliebende Buche hatte in unseren Wäldern Fuß gefasst und gab ihnen das charakteristische Gepräge, das sie heute noch tragen. In den hochentwickelten Kulturen des Orients wurde um diese Zeit das Kupfer als Metall entwickelt; später gelang es, aus einer Mischung von 90 Teilen Kupfer und so Teilen Zinn eine Legierung herzustellen, die Bronze. Die erste bekannte Kupfer-Zinn-Legierung kennen wir von einer Statue des um 2500 v. Chr. lebenden ägyptischen Königs Pepi.
Der neue Werkstoff begann nun die damals lebenden Menschen zu faszinieren und ihr Leben langsam zu verändern.
Auf Handelswegen, über Meer und Land, gelangte die Bronze schließlich über Spanien und Südfrankreich um etwa 2000 V. Chr. auch in unser Gebiet. Beile und Sticheln, Dolche und Messer, Lanzen und Pfeilspitzen und vor allem Schmuck in Form von Armringen, Knöchelbändern mit Scheibenspiralen, Ösenhalsringen und verzierten Nadeln fanden über die Händler den Weg zu den einheimischen Menschen. Hügelgräber, die Bestattungsform der Bronzezeit, bewahrten die bronzenen Grabbeigaben bis in die heutige Zeit. Staunend stehen wir vor der Vielfalt der Formen und der handwerklichen Schönheit dieser frühen Metallgegenstände. Ein Bronzebeil, das ein hiesiger Kiesgrubenbesitzer der Mittelstädter Schule schenkte, zeugt von der hohen Kunst der bronzezeitlichen Metallgießer.
Um etwa 1.3oo v. Chr., es war die Zeit, da Mose das Volk Israel aus Ägypten führte, drangen aus den weiten Ebenen Pannoniens, das ist das Gebiet um die mittlere Donau, neue Völkerschaften in unseren Raum ein. Große, anhaltende Dürren in ihren Siedlungsräumen waren anscheinend der Grund ihrer Wanderung. Die Siedlungsdichte in unserem Lande nahm damit zu.
Die alteingesessenen Kulturen wurden zwar nirgends vernichtet, aber ihre Kraft begann unter dem Druck der neuen Sitten und Bräuche der Zuwanderer langsam zu schwinden. Eine Zeitlang noch bestanden alte und neue Grabsitten nebeneinander. Schließlich setzten sich aber die neuen Ideen durch und brachten das Altüberlieferte in Vergessenheit.
In der Hügelgräberbronzezeit wurde der Tote samt seinen Waffen, Geräten und seinem Schmuck in gestreckter Lage beigesetzt. Über ihm wurde ein Erdhügel großen Ausmaßes aufgeschüttet. Die Urnenfelderleute hingegen verbrannten ihre Toten, füllten die Asche in große Tonurnen und vergruben diese in Urnenfriedhöfen samt den üblichen Beigaben im Boden. Urnenfelderfriedhöfe sind also äußerlich nicht erkennbar. Nur durch Zufall können wir sie finden.
Ein solcher Zufall führte uns im Frühsommer 1964 während der Verlegung eines Telefonkabels am Straßenrand neben dem Gewand »Rebstock« zu einer angeschnittenen dunkel gefärbten Grube. Sie enthielt über 200 Gefäßscherben, die zum Teil zur Keramik der Urnenfelderzeit gehören. Eine anschließende Geländebegehung zeigte, dass man an diesem Platz vorgeschichtliche Tonscherben an der Oberfläche auflesen kann. Wir dürfen also mit Recht vermuten, dass Angehörige der Urnenfelderleute auf dem Gewand Rebstock gelebt haben. Spätere, noch notwendige Grabungen werden diese Vermutung sicherlich bestätigen.
Der Fuchsberg, ein Grabhügel der Hallstattzeit
Kaum hundertfünfzig Schritte vom Röhmschen Aussiedlerhof entfernt, liegt im nahen Lachenhau der Fuchsberg. Jeder Mittelstädter kennt ihn, und die Trampelpfade, die durch Himbeergestrüpp zu ihm hinführen, zeugen davon, dass er ein gernbesuchter Ort unserer Gemarkung ist. Ungefähr zwei Meter hoch ist der stattliche Hügel, der einen Durchmesser von mehr als dreißig Metern misst. Sechzigjährige Fichten strecken ihre langen Stangen aus seinem Erdreich gegen den Himmel und bilden in ihren Wipfeln ein dichtes Reisigdach; nur hier und da gelingt es den Sonnenstrahlen, sich hindurchzuzwängen, um den Hügel mit hellen Kringeln und Flecken zu betupfen. An vielen Stellen des Fuchsberges gähnen dem Spaziergänger schwarze Löcher aus dein Hügel entgegen, die Eingänge eines vielverzweigten Röhrensystems von Fuchsbauten. Und wer sich im Sommer einmal aufraffen kann, in aller Herrgottsfrühe den Fuchsberg aufzusuchen, der sieht im ersten Schein der aufgehenden Sonne die Jungfüchse sich vor den Bauten raufen und umhertollen. Aber die Füchse sind eigentlich nur die Aftermieter der Dachse, die das erste Recht hier genießen. Der Dachs jedoch liebt ausgesprochen ruhige Wohnlagen. Lärm, Unruhe und somit die Nähe der Menschen haßt und meidet er. Um die Jahrhundertwende war es im Lachenhau stiller als heute, und damals war der Hügel sicherlich dauernd von Dachsfamilien bewohnt, denn die Mittelstädter nannten ihn in jener Zeit Dachsbühl.
Welcher Spaziergänger fragt sich schon, was dieser Fuchsberg überhaupt in einem Gelände zu suchen hat, in dem es an sich keine Buckel und Burren dieser Art gibt. Und wer entdeckt in der näheren Umgebung dieses Hügels schon die übrigen Reste von weiteren zehn Hügeln, die sich in angemessenem Abstand um ihn gruppieren? Freilich sind sie arg von Pflug und Egge verschleift worden, aber ihre flachen Wölbungen im Gelände sind noch da, wenn auch nur noch zumeist als ein verlöschendes Anzeichen und nur dem kundigen und suchenden Auge sichtbar. So steht das Wasenhäusle auf einem solchen Hügel, ein weiterer liegt wenige Meter davor inmitten der neuerrichteten Anlage des Albvereins; nahe am Aussiedlerhof, unmittelbar am vorbeiführenden Weg, befindet sich der dritte, südlich vom Fuchsberg, vom dichten Holz der Schonung völlig bedeckt, ein vierter und fünfter, und auf den Wiesen und Äckern vor dem Nordrande des Waldstückes, in dem der Fuchsberg liegt, erheben sich, oft nur angedeutet, schwache Kuppen von weiteren Hügeln.
Und wer einmal den Fröhlefelderweg hinunterwandert und dort, wo dieser abrupt in den Wiesen endet, noch fünfzig Schritte weitergeht, der steht auf einer kleinen Erhebung, die denen im Lachenhau gleichsieht. Blickt er suchend in die Runde, so entdeckt er bald die verschleiften Reste von weiteren ehemals größeren Erdaufhäufungen — Grabhügeln aus einer fernen Vergangenheit. Woher stammen all diese Hügel? Wenn wir diese Frage beantworten wollen, so müssen wir uns gedanklich in die Zeit um 800-500 v. Chr. zurückversetzen.
Schon in der Urnenfelderzeit tauchte hier und da ein neues Metall auf, das der Bronze in vielem überlegen war: das Eisen. Auf den gleichen Wegen wie vorher Bronze und Kupfer, fand es aus den Hochkulturen des Orients den Weg zu uns. Zuerst nur von den damaligen Goldschmieden infolge seiner anfänglichen Seltenheit verarbeitet, wurden bald seine vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten erkannt, so dass wir ab 800 v. Chr. vom eigentlichen Beginn der Eisenzeit reden können. In einem Hochtal des Städtchens Hallstatt am gleichnamigen See im Hinterland Salzburgs gelegen, wurde schon im vergangenen Jahrhundert ein Feld von 3000 Gräbern gefunden und ausgegraben. Diese Gräber boten einen solchen Reichtum von Gegenständen aller Art aus der Zeit um 800-50o v. Chr., dass man diesen Abschnitt fortan in der Wissenschaft nach dem Fundort als Hallstattzeit bezeichnete.
Die Kultur dieser Zeit entwickelte sich sicher aus der Urnenfelderkultur, wie auch die neue Bevölkerungsgemeinschaft, die nun entstand, sich aus der Verbindung der Urnenfelderleute mit den Alteingesessenen bildete. Die Hallstattkultur war in ganz Süddeutschland verbreitet. Die Menschen dieser Zeit wohnten entweder in Einzelgehöften oder kleineren Siedlungen beisammen, die aus mehreren Häusern bestanden. Im 7. Jahrhundert v. Chr. tauchte in diesem Kulturkreis eine neue Bestattungssitte auf, der wir die reichen Kenntnisse jener Zeit verdanken: der Tote wurde nun nicht mehr verbrannt, sondern mit den üblichen Beigaben unter einem Hügel beigesetzt, der je nach der sozialen Stellung des Verstorbenen kleiner oder größer war. Überhaupt lässt sich von nun an eine deutliche Unterscheidung von arm und reich feststellen. Die soziale Struktur hatte sich grundlegend geändert. Fürsten herrschten nun über die Völker, die wahrscheinlich in einem Hörigen-Verhältnis zu ihren Gebietern lebten.
Die Adeligen bauten sich vornehme Herrensitze, Burgen — Repräsentationsstücke, an hervorragenden Stellen stehend, unübersehbar für Bewunderer, Neider, Freunde und Feinde. Die Heuneburg bei Hundersingen an der Donau gibt davon ein beredtes Zeugnis.
Handelsverbindungen über Südfrankreich mit der damaligen hochstehenden griechischen Kultur wurden gepflegt. Griechische Baumeister versuchten, die im trockenen Klima ihres Landes bewährte Lehmziegelmauer für die Bauten des süddeutschen Hallstattzeit-Adels zu verwenden, ein Unterfangen, das hier im regenreicheren Gebiet misslingen musste. Starb ein Angehöriger des Fürstenhauses, so wurde über seiner mit reichsten Beigaben ausgestatteten Grabstätte ein mächtiger Hügel aufgeschüttet, wie er uns im Hohmichele in der Nähe der Heuneburg erhalten ist; dieser Grabhügel ist 13 m hoch.
Der Fuchsberg in Mittelstadt ist nie so hoch gewesen. Aber wir dürfen annehmen, dass er der größte in der Gruppe der Mittelstädter Grabhügel aus der Hallstattzeit war. Welche Menschen und wie viele in ihm beigesetzt wurden, wissen wir noch nicht. 1894 wurde unter der Leitung von Prof. Sixt aus Stuttgart ein kreuzförmiger Suchgraben durch den Fuchsberg gezogen. Leider hat Prof Sixt sich an keiner Stelle über diese Grabung ausgelassen, ein Grabungsprotokoll wurde bedauerlicherweise auch nicht geführt, so dass wir über seine Ergebnisse völlig im unklaren sind. Probegrabungen, die von Brants in den übrigen Hügeln vorgenommen wurden, förderten über-all Holzkohlenreste zutage. Weitere Anhaltspunkte ergaben sich nicht.
Offen bleibt weiterhin, wo die Siedlung der Hallstattzeit-Leute auf unserer Gemarkung stand. Einen Fingerzeig erhielten wir durch entsprechende Gefäßscherben, die im Frühsommer bei der schon oben erwähnten Verlegung eines Telefonkabels im Gewand Rebstock gefunden wurden. Spätere Grabungen in diesem Gebiet könnten uns deutlichere Hinweise geben. Andere Gruppen von Grabhügeln der Hallstattzeit fin-den wir in der Nähe Mittelstadts im oberen Oberrainer Wald bei Hammetweil und südlich dieses Waldes am Weg nach Dörnach.