Die Römer
Kaiser Augustus (31 v. Chr.-14 n. Chr.) war im Gegensatz zu seinen Vorgängern davon überzeugt, dass es wichtiger sei, sich mit der Berichtigung und Befestigung der Grenzen zu begnügen als auf Eroberungen auszugehen. Donau und Elbe, nach der Schlacht im Teutoburger Wald Donau und Rhein, erschienen ihm als vernünftige und erstrebenswerte Nordgrenzen des römischen Imperiums.
So begannen im Sommer des Jahres 15 v. Chr. Urusus und Tiberius, die beiden Adoptivsöhne des Augustus, die Alpen zu überschreiten und die im Alpenland wohnenden keltischen Stämme, Rätier und Vindeliker, der römischen Herrschaft zu unterwerfen. Das gesamte Alpengebiet und große Teile des nördlichen Vorlandes bis zur Donau waren bald in ihrer Hand. Der Ausbau von Straßen und die Gründung von Kolonien sowie die Anlage von befestigten Standlagern, Kastellen, sollten die Eroberungen sichern und festigen. Damals entstand auch Augusta Vindelicum, das heutige Augsburg, im Lande der Vindeliker. Entgegen früherer Auffassung wurde nicht die gesamte Donaulinie bis 9 v. Chr. schon erreicht, sondern im Gebiet des heutigen Oberschwabens erst um 5o n. Chr. Dies lehrten uns Grabungsbefunde im ehemaligen Kastell Rißtissen a. d. Donau (Grabung 1959). Erst jetzt war die Donau in ihrem gesamten Verlauf die durch Kastelle gesicherte Nordgrenze des römischen Reiches. Rhein- und Donaulinie bildeten nun aber bei Basel einen tief einspringenden Winkel, der den Römern entscheidende strategische Nachteile bringen konnte. Sie waren deshalb gezwungen, diesen Winkel zu beseitigen und die Grenze zu ihrem Vorteil zu begradigen. Im Jahre 74 n. Chr. erhielt darum der römische Feldherr Pinarius Clemens den Auftrag, diese Grenzkorrektur durchzuführen. Er benötigte dazu fünf Legionen; dies spricht für einen Gegner, der sich erbittert gegen die Besetzung seines Landes wehrte. Von Westen her durchs Kinzigtal und vom Kastell Vindonissa (Windisch, heutige Schweiz) aus über Brigobane (Hüfingen) wurde der obere Neckar beim heutigen Rottweil erreicht. Arae Flaviae nannten die Römer ihren neugewonnenen Stützpunkt nach den Altären, die hier zu Ehren des flavischen Kaiserhauses errichtet wurden. Wenig später gab man die Donaulinie auf und schob die Grenze auf die Albhochfläche vor. So entstand der Alblimes mit den Kastellen Geislingen, Lautlingen, Burladingen, Gomadingen, Donnstetten (Clarenna?), Urspring (Ad Lunam), Heidenheim (Aquileja) und Oberdorf/Ipf (Opia). Um 85-90 n. Chr. drangen römische Legionen durch den Kraichgau nach Osten gegen den Neckar vor und machten ihn zur Grenze. Damals entstanden die Kastelle Rottenburg (Sumelocenna), Köngen (Grinario), Cannstatt(?), Walheim, Böckingen und Wimpfen. Die nördliche Fortsetzung der Reichsgrenze verlief durch den Odenwald bis zum Main bei Miltenberg.
Im Jahre 155, ein Menschenalter später, wurde die Grenze noch einmal weiter ins Innere Germaniens hinein verlegt. Sie bildete dort den obergermanischen Limes, eine befestigte Grenze mit Wall, Graben und Palisaden, und den rätischen Limes, eine 175 km lange, 2,5 m hohe Steinmauer von Lorch bis Eining an der Donau. Hundert Jahre lang, bis zum Einfall der Alamannen 259/6o n. Chr., sollten der »Pfahl« und die »Teufelsmauer« nun Grenze des römischen Imperiums gegen das unruhige Germanien bleiben.
Nach der militärischen Eroberung galt es, das Land zu sichern und es dem römischen Reich als Provinzen Obergermanien und Rätien einzugliedern. Mit der zivilen Inbesitznahme des Decumatenlandes begann auch seine Blütezeit.
Das besetzte Gebiet wurde ziemlich gleichmäßig aufgeteilt und an vertrauenswürdige römische Bürger, wohl zumeist Veteranen, die ihr Militärdiplom erhalten hatten, vergeben. Diese bauten sich nach italischen Vorbildern ihre steinernen Gutshöfe, die sogenannten Villae rusticae. Das waren oft große landwirtschaftliche Anlagen mit beachtlichem Grundbesitz. Ein solcher Hof, in der Regel an landschaftlich schönsten Plätzen gelegen, bestand im allgemeinen aus mehreren Gebäuden: einem schloßähnlichen Wohnhaus, dessen Eingangshalle von Säulen getragen wurde, ferner dem zumindest für Gutshöfe der späteren Zeit obligatorischen Badgebäude, sowie Stallungen, Speichern und den Behausungen des Dienstpersonals. Zumeist wurde eine derartige Anlage von einer Mauer oder einem Holzzaun auf Steinsockel eingeschlossen. Die Ausdehnung des so umfriedeten Hofraumes erreichte Maße von 200 X 170 m. Ausgrabungen in Baden-Württemberg zeigten dies.
Über 800 solcher Gutshöfe sind allein in Württemberg festgestellt worden. Mit einer weiteren Anzahl darf noch gerechnet werden. Außer den einzelgelegenen Villae rusticae gab es natürlich noch die größeren Siedlungen in der Nähe der Kastelle. Sie sind aus den Kastelldörfern hervorgegangen und wurden später zu stadtähnlichen Niederlassungen, die für Wirtschaft und Handel des Zehntlandes von großer Bedeutung waren. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang Rottweil (Arae Flaviae), Rottenburg (Civitas Sumelocenna) und Cannstatt (röm. Name unbekannt) für den Bereich des heutigen Württemberg. Dabei darf Sumelocenna wohl als der Hauptort des Zehntlandes angesehen werden.
Mehr als 150 Jahre erfreuten sich die Bewohner des größten Teiles dieses Decumatenlandes friedlicher Zeiten. Unter dem Schutze des Militärs konnte sich ungestört römische Kultur und Lebensart ausbreiten, zum Segen des ganzen Landes. Ziegeleien (z. B. Hoheneck bei Ludwigsburg) und Töpfereien für das begehrte Sigillatengeschirr (in Cannstatt, Waiblingen und Rottenburg) entstanden. Ein gut ausgebautes Netz von gepflasterten, meist 4,5 m breiten Straßen und schmäleren Verbindungswegen zwischen den Siedlungen hatte nicht nur strategische Bedeutung, sondern erschloss auch das Land und wirkte somit fördernd auf Handel und Gewerbe. Einheimische keltische Kultur verband oder vermischte sich mit der römischen zum Vorteil beider. Die Ortsnamen blieben auch weiterhin keltisch, wie Sumelocenna, Grinario oder Flußnamen wie Nicer (Neckar), Danuvius (Donau), Armisa (Erms) usw., während die Landes- und Amtssprache lateinisch war.
Die Römer brachten eine technisch hochentwickelte Kultur mit, die von den einheimischen Kelten in mancherlei Weise nachgeahmt bzw. übernommen wurde. Die Sprache verrät dies deutlich. Alle Wörter nämlich, die mit dem steinernen Hausbau zusammenhängen, stammen von den Römern, wie Mauer, Kalk, Mörtel, Pflaster, Ziegel, Turm, Fenster; genauso ist es mit den Namen von Gegenständen, die ebenfalls bisher im Lande unbekannt waren, wie z. B. Wein, Kirsche, Birne, Quitte, Eimer, Kessel, Mühle, Kübel usw. Andererseits sind Namen, die Pferdezucht und Ackerbau betreffen, keltischen Ursprungs, ein Zeichen dafür, dass die Kelten den Römern in dieser Beziehung ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen waren. Es bestand also deshalb keinerlei Veranlassung, Sache und damit Name zu übernehmen. Daß eine 100 —l5o jährige, teilweise sogar noch längere Besatzungszeit nicht spurlos an der Bevölkerung des besetzten Landes wie auch an der Besatzungsmacht vorübergeht, zeigt uns u. a. die Religion der damaligen Zeit. Keltische und römische Götter wurden auf beiden Seiten verehrt. So kam es z. B., dass die keltische Pferdegöttin Epona zeitweise Modegöttin der pferdeliebenden römischen Jugend war (sie liebte Pferde damals gewiss in dem Maße, wie die Jugend unserer Zeit Autos verehrt) und ihre steinernen Darstellungen in römischen Arenen zur Anbetung aufgestellt wurden.
Zusammenfassend dürfen wir mit Paret sagen, dass die Zeit der römischen Besetzung des Zehntlandes eine Blütezeit für Handel und Gewerbe war. Das Grenzland an Neckar und Donau durfte in bescheidenem Maße teilnehmen an römischer Kultur und Zivilisation. Mit der Vertreibung der Römer durch die Alamannen um 259/60 n.Chr. nahm das alles ein Ende.
Römische Funde im Ort und in der näheren Umgebung
Unsere engere Heimat war in römischer Zeit für damalige Begriffe verhältnismäßig dicht besiedelt. Das wissen wir durch entsprechende Bodenfunde der vergangenen 6o Jahre. So befand sich in Metzingen eine bedeutende römische Siedlung. Eine Inschrift auf einem dort gefundenen Jupiteraltar zeugt von einem nachbarschaftlichen Zusammenschluss römischer Bürger, der Confanesses Armisses, Tempelgenossen an der Erms (Armisa). Solche »Nachbarschaften« mit landsmannschaftlichem Charakter, die Einwohner eines Häuserblocks, eines Stadtviertels oder wie in Metzingen die mehrerer Gehöfte umschließen, sind von Granada in Spanien bis Metzingen belegt. Gutshöfe in näherer Umgebung Mittelstadts wurden ferner in Bempflingen, Neckartenzlingen, Dörnach, Altenburg und Betzingen nachgewiesen. Ferner kennen wir im Wald von Einsiedel Reste einer römischen Jupiter-Gigantensäule, während 2 km östlich davon, an der Neckartalstraße gegenüber Kirchentellinsfurt, noch der verzierte Sockel des großen römischen Grabmals zu sehen ist. Die ehemals dazugehörigen Bildwerke befinden sich im Lapidarium des vor- und frühgeschichtlichen Landesmuseums in Stuttgart. Von der Gemarkung Pliezhausen stammt ein Relief des Gottes Merkur. Es ist jetzt an der dortigen Dorfkirche liebevoll und vorbildlich wettergeschützt eingemauert. In Neckartenzlingen wurde ferner beim Bau einer Fabrik die teilweise durchs Neckartal führende römische Militärstraße angeschnitten, die die Kastelle Grinario (Köngen) und Sumelocenna (Rottenburg) miteinander verband.
Die klimatisch und landschaftlich außerordentlich günstige Lage Mittelstadts, hoch über dem Neckar, dürfte nun die römischen Kolonisten in besonderem Maße angezogen haben. Diese im Laufe des vergangenen Jahrhunderts ausgesprochene Vermutung bestätigte sich nach und nach.
Schon die Flurnamen Auf den Mauern und Steinige, die seit dem Dreißigjährigen Krieg belegt sind, sprechen für eine römische Besiedlung. In dieser Zeit oder noch vorher müssen dort Mauern aufrecht gestanden sein, die die damaligen Mittelstädter veranlassten, diesen Fluren entsprechende Namen zu geben. Die meisten Fundstellen römischer Siedlungen in Württemberg tragen Bezeichnungen, die auf Mauern oder Steine hinweisen. Tatsächlich wurden auch am Hang unterhalb der Steinige vor einigen Jahren nach Aussagen eines Mittelstädters, der hier ein Haus baute, Geräte und Keramikscherben gefunden. Aus Unkenntnis warf der Mann diese Gegenstände leider fort. Lediglich das Bodenstück eines Gefäßes aus grauem Ton bewahrte er auf. Dieses konnte von den zuständigen Fachleuten als römisch identifiziert werden. Einen weiteren sicheren Beweis einer römischen Siedlung in Mittelstadt lieferte uns Paret durch seine 1908 hier durchgeführte Grabung.
Er berichtet darüber: »Hinter der Staffel von Haus Zehnthof z und 2 (früher Haus 49) hinter der >Krone<, 110 M ONO der Kirche wurden im Jahre 1908 vierzehn römische rund und kantig profilierte Werksteinstücke aus Stubensandstein gefunden. Da hier auch Bildwerke eingemauert waren, darf eine römische Siedlung auf dieser über dem Neckar und dem Einfluss des Wieslesbaches gelegenen Höhe angenommen werden. Ein römischer Tempel soll hier gestanden sein (Paulus: Die Altertümer des Königreiches Württemberg). Die Lage hoch über dem Neckar könnte für diese Deutung der Reste sprechen.«
Über ein verschollenes Reliefbild eines römischen Genius aus Mittelstadt mit der Inschrift GEN. LOC. schreibt Haug-Sixt: »Die Inschrift muss nach den untenstehenden Nachrichten die Worte GEN. LOC. enthalten haben, d. h. genio loci. Das kann nicht erfunden sein, weil die Leute diese Worte gar nicht verstanden, es weist aber nicht gerade auf eine Benifizarierstation hin, da Widmungen an den genius loci auch sonst vorkommen. Das Relief (?) soll etwa 2 Ellen hoch gewesen sein und um 1793 aus einer Quadermauer herausgenommen worden sein.«
Ein Brief eines Dr. Schmidt aus Metzingen, datiert vom 4. Juli 1843, adressiert an den Verein für Vaterlandskunde, ist uns überliefert; Dr. Schmidt schreibt u. a.: » . Hinter Knechts Hause, auf der erhöhten Spitze, die zwei tiefe Bachbetten bilden, stand ein halbrundes Häuschen, ganz von Quadern, wohl ein Tempel. Sein Großvater habe es vor ca. 5o Jahren abgebrochen. Ein ganzes Männlein, ca. 2 Ellen hoch, habe ein Fremder mitgenommen. Dieser Kopf und noch ein solcher wären ins Haus gemauert.« In der Mitte des vorigen Jahrhunderts konstatierte ein Forstrat Speidel (Metzingen?) im Lachenhau, mitten im Wald gelegen, Reste eines römischen Gutshofes. Bei der Rodung dieses Waldstückes, kurz vor der Jahrhundertwende, sind sie den verantwortlichen Leuten gar nicht mehr aufgefallen. Das Gelände wurde hernach unter den Pflug genommen. Bei der ersten Beackerung jedoch stieß der Bauer auf drei Säulen, ferner fand er ein eisernes Vorlegeschloss mit eingezwängtem Kettenglied. Diese Dinge wurden von dem damaligen Kirchenpfleger Lutz an das Landesmuseum Stuttgart verkauft. Durch diesen Kauf wurde Oscar Paret aufmerksam; er stellte dann nach Forstrat Speidel zum zweiten Male fest, daß es sich hier im Lachenhau um Reste einer Villa rustica handelte. (Fund-berichte aus Schwaben, 16. Jahrg. 1908, S. 70.)
Aufgrund dieser Mitteilungen gelang es mit einiger Mühe (die Himmelsrichtung war von Paret nicht genau bestimmt worden), die im Dorf längst vergessenen Reste dieses römischen Gutshofes in Mittelstadt wiederzufinden.
Zur Lage der Villa rustica im „Vorderen Lachenhau"
Kenner der Gemarkung Mittelstadts fragen vielleicht: Warum hat der Römer gerade hier im Lachenhau gebaut und nicht weiter unten, an den Südwesthängen oberhalb des heutigen Dorfes? Dort hätte er doch beides gehabt: eine windgeschützte Lage und eine einzigartige Aussicht auf das Neckartal von Tübingen bis Neckartenzlingen. Die Antwort darf vielleicht lauten: Das betreffende Gebiet war eben schon von Römern besiedelt; die Gewande Steinige und Auf den Mauern liegen hier.
Unserem Römer blieb also nichts anderes übrig, als sich den Platz mit der nächstschönsten Aussicht zu erwerben, und der liegt am flachen Nordhang des Lachenhau, oberhalb des Wieslenbaches. Der Blick geht von hier aus ins Neckartal bis auf die am jenseitigen Ufer liegenden Hänge, wo vielleicht die römische Militärstraße entlangführte. Die Verbindungsstraße zwischen Metzingen und der Militärstraße führte wahrscheinlich an seinem Haus vorüber, wenn wir voraussetzen, daß die jetzt durch den Wald führende alte Metzinger Straße ein uralter Weg ist; dies dürfen wir annehmen. — Alles in allem: der Bewohner dieser Villa rustica konnte mit seinem Los zufrieden sein.
1700 Jahre alte Mauern werden freigelegt
Im Frühsommer 1962 kam uns zufällig zu Ohren, dass Teile des Vorderen Lachenhau überbaut werden sollten. Damit waren die im Boden befindlichen Mauerreste unmittelbar gefährdet. Schnelles Handeln war nun geboten. Bürgermeisteramt und der derzeitige Pächter des betroffenen Gemeindegrundstückes waren mit einer Grabung einverstanden. So konnte mit Hilfe von Lehrern, Schulkindern und vor allem begeisterten Albvereinsmitgliedern sowie Neugierigen aus dem Dorfe die Suche nach dem Verlauf der Mauern beginnen. Bald war das Kaltwasserbad mit Vorraum freigelegt. Als wir am zweiten Tage unserer vorerst noch privaten Grabung ein Relief der keltischen Pferdegöttin Epona fanden, waren wir sicher, dass wir die Überreste der bei Paret erwähnten Villa rustica gefunden hatten.
Das nun verständigte Staatliche Amt für Denkmalspflege in Tübingen sprach sich für eine völlige Freilegung der Anlage aus, zumal ja die Gefahr bestand, dass sie bei den kommenden Bauarbeiten zerstört werden würde.
Bis zum Eintreffen des offiziellen Grabungsleiters gegen Ende Juli übertrug uns das Denkmalspflegeamt die Aufgabe, die Mauerzüge aufzudecken.
Überblick über die gesamte Ausgrabung. Rechts im Bild sind die Mauerreste des Nebengebäudes zu erkennen, daneben, in der Mitte des Bildes, erstreckt sich das Badgebäude mit der noch gut erhaltenen Kaltwasserwanne. Links im Bild ist der Keller zu sehen. Zwischen Keller und Badgebäude befinden sich die Grundmauern der Eingangshalle. Der zwischen Badgebäude und Keller quer durch die Ruine führende Steg hat mit dem Gebäude selbst nichts zu tun; er wurde aus grabungstechnischen Gründen stehen gelassen. (Foto Holder, Urach)
Um die Ausmaße der ganzen Anlage zu erfassen, war es notwendig, systematisch vorzugehen. So begannen wir, Suchgraben auszuheben, die zwangsläufig immer wieder auf Mauerzüge stoßen mussten. Auf diese Weise hatten wir binnen kurzer Zeit den gesamten Grundriss des Gutshofes samt Nebengebäude freigelegt.
Ende Juli begann dann der Hauptteil der Grabung unter der Leitung eines erfahrenen Archäologiestudenten. Mit Hilfe von zeitweilig 15 bezahlten Mittelstädter Arbeitern und Studenten von der PH Reutlingen gelang es, dank unserer Vorarbeit, binnen 14 Tagen alle zur wissenschaftlichen Aufnahme der Hofanlage notwendigen Details freizulegen, so dass Anfang August das Ergebnis der Ausgrabung vor uns lag.
Steine beginnen zu reden
Wer Parets Buch Die Römer in Württemberg oder Beschreibungen der prachtvollen römischen Villen an der Mosel gelesen hat, denkt leicht an großräumige Anlagen, wenn er von einem römischen Gutshof hört. — Wie konnte der Mittelstädter Gutshof anders sein als diese, dachten wir bei Beginn der Grabung. Insofern wurden wir bald enttäuscht. Denn was offen vor uns lag, war ein verhältnismäßig kleiner Bau ohne Mosaikfußböden und anderen rühmenswerten Dingen der üblichen Beschreibungen.
Das Bild, das uns sich bot, war im Einzelnen folgendes: Am flachen Nordhang befanden sich Reste von zwei verschieden großen Gebäuden, die in römischer Zeit hier errichtet worden waren. Der kleinere Bau, wahrscheinlich ein turmartiger Speicher, maß 6,5o m X 8 m, während der größere, zweifellos das Wohnhaus, mit den Aus-maßen 17 x 19,5 m annähernd ein Quadrat darstellte. Das Mauerwerk dieser Häuser war bis in Fußbodenhöhe zerstört worden. Das Verbliebene hatte sich jedoch in einem so ausgezeichneten Zustande erhalten, dass eine Deutung der ganzen Anlage weitgehendst möglich war. Im Grundriss (s. Abb.) erschien das bekannte Schema einer Villa rustica: Zwischen zwei Ecktürmen, (B u. M) (ehemals wohl zweigeschossig), erstreckte sich die überdachte Eingangshalle (L), der sogenannte porticus, dessen Säulenfront sicherlich nach Süden geöffnet war. Hinter dem Eckturm B lagen eine Anzahl Räume, über deren Zugehörigkeit zum Bad auf Grund entsprechender Be-funde kein Zweifel besteht. Ein pünktlich im Verband gemauerter Keller befand sich unter dem Eckturm M. Der ummauerte Raum H hinter der Eingangshalle (L) und dem Eckturm M war vermutlich nicht überdacht, da Dachziegelfunde hier völlig fehl-ten. Wir dürfen hier also einen teilweise offenen Hof annehmen. Die Mauerstärken schwankten je nach Gebäudeteil zwischen 4o und 90 cm. Als Baumaterial wurde der ortsständige Angulatensandstein und in kleinerem Umfang (für den Keller) Stubensandstein verwendet. Auffallend ist neben der Stärke der Mauern, die weniger auf statische Berechnung als vielmehr auf gefühlsmäßiges Bauen schließen lässt, die Technik ihrer Herstellung. Sie weicht von der modernen Mauertechnik zwar nicht so weit ab, es lohnt sich aber dennoch die Art ihrer Erstellung einmal genauer kennenzulernen.
Auch bei uns in Mittelstadt zeigte es sich sehr deutlich, dass die Römer keine eigentlich gemauerten Fundamente kannten. Wir würden heute sagen: sie sind im Betongußverfahren gebaut worden. Man darf sich die einfache römische Fundamentbau-technik anhand der Gegebenheiten bei unserer Ausgrabung folgendermaßen denken: ein ungefähr 8o cm tiefer Fundamentgraben wurde ausgehoben, der dann mit verschieden großen Steinbrocken und reichlichem Mörtel regellos bis zum Rand gefüllt wurde. Damit war das Fundament fertig. Bei einigen Grundmauern wurde statt Mörtel auch Lehm verwendet. Im Vergleich zur heutigen Bauweise waren die römischen Mauern im Mittelstädter Gutshof also nicht hohl, sondern massiv. Die Mauerhaut wurde mittels Quadern verschiedener Länge und Breite aufgeführt, die durch viel Mörtel miteinander verbunden waren. (Der Mörtel wurde zum Teil noch steinhart vorgefunden.) Der Mauerkern bestand, ähnlich den Grundmauern, aus einem Mörtelguss, vermischt mit kleineren Steinbrocken. In der Mauerhaut schräggestellte Lagen, die zuweilen als sogenanntes opus piscatum grätenartige Musterungen bildeten, sollten der Mauer zweifellos größere Festigkeit geben. Sämtliche Außenmauern dürfen wir uns, der damaligen Gepflogenheit entsprechend, rot verputzt vorstellen. Beide Gebäude dieser Anlage trugen Ziegeldächer. Bruchstücke und einige unversehrte Exemplare römischer Flach- und Hohlziegel wurden bei den Ausgrabungen gefunden. Geradezu auffallend war ihre hervorragende Qualität aus feinem Tonmaterial. Sie hatten die 17 Jahrhunderte bis in unsere Zeit hinein völlig un-versehrt überstanden, das heißt, sie wiesen nicht die geringsten Verwitterungsspuren auf — eine Erscheinung, die man immer wieder bei Ausgrabungen römischer Bauwerke feststellen konnte
Erwähnenswert wäre noch, dass wir auch bei unserer Gutshof-grabung Leistenziegel fanden, die deutlich sichtbar die Abdrücke von verschiedenen Hundepfoten, Ziegenhufen und Kinderhänden trugen. Paret sieht es als Zeichen dafür an, dass die Ziegel vor dem Brennen zum Trocknen auf den Boden gelegt wurden. Da-für sprechen auch die Ziegelunterseiten, die den rauhen Abdruck des sandigen Bodens zeigen, auf dem sie lagen. Über die Dachkonstruktion selbst gaben die Mittelstädter Grabungsbefunde keine Auskunft. Wir verlassen uns hier ganz auf die Untersuchungen Parets, der den Bau des Dachstuhls und die Art der Dachdeckung aus Form und Leistenziegel abzuleiten versucht. Er schreibt u. a.: »Eine Aufhängevorrichtung entsprechend der Nase der mittelalterlichen und neuzeitlichen Ziegel fehlt den römischen Flach- und Hohlziegeln. Nur vereinzelt findet man Ziegelplatten, die nahe dem oberen Rand ein Nagelloch haben. (Eigene Anmerkung: In Mittelstadt fanden wir etliche solcher Ziegel.) Wie wir von erhaltenen Bauten, von Wandgemälden und Reliefdarstellungen wissen, waren die römischen Dächer nur wenig geneigt, etwa 3o° bis 40°. Es genügte daher, wenn die unterste Ziegelreihe auf der Unterlage festgenagelt wurde. Die nächsthöhere Reihe stützte sich auf die Leisten der tieferen. Vielleicht ist die Flachheit des römischen Ziegeldaches in der Eigenart der Ziegelplatten begründet. (Flach war naturgemäß auch das steinbeschwerte Legschindeldach.) Als Unterlage diente wahrscheinlich eine Holzverschalung auf Sparren. Ein Verlegen der Ziegel nur auf Sparren, wie das bei den Bauten der Saalburg angenommen wurde, hätte eine sehr pünktliche Zurichtung und Verlegung der bei einer Ziegelbreite von 32 —35 cm sehr zahlreichen Sparren und peinliche Rücksicht auf die Breite der vorliegenden Ziegel, sowie besondere Querverstrebungen erfordert, ohne dass Holz gespart worden wäre. Bei der Annahme einer geschlossenen Bretterverschalung war die Arbeit einfacher und das Dach hielt wärmer.«
« Der Gutsherr betrat sein Haus über eine Treppe (ihr Unterbau war noch zu erkennen), die in die Eingangshalle (L) führte; sie war der Ort, von dem aus er für gewöhnlich sein Anwesen überblicken und die Arbeit seiner Bediensteten überwachen konnte. Das Dach der nach Süden geöffneten Eingangshalle — Paret nennt sie auch Säulenhalle — wurde auf dieser Seite von einer Säulenreihe getragen. Auf Grund unserer Funde dürfen wir annehmen, dass die Säulenfront im Mittelstädter Gutshof aus 4 Säuen bestand. Paret nimmt an, dass die Säulen für gewöhnlich auf einer durchgehenden Brüstungsmauer standen. Dafür fanden wir in Mittelstadt keine Anzeichen, da das Mauerwerk zu tief abgetragen war. Auch die übliche Unterkellerung der Eingangshalle gab es in unserem Gutshof nicht. Als ein gewisses Kuriosum wäre zu bemerken, dass der Gutsherr den schönen Blick aufs Tal von seiner Eingangshalle aus gar nicht genießen konnte, da sie eben nach Süden, und das ist hangaufwärts, mit sehr begrenzter Aussicht, gerichtet war. Möglicherweise war ihm die warme Sonne lieber als der schöne Blick aufs Neckartal — so scheint es. Sehr wahrscheinlich muss man aber diese Merkwürdigkeit im Zusammenhang mit einem Umbau oder einem behelfsmäßigen Neubau bzw. Anbau sehen, von dem noch die Rede sein wird.
Von der Eingangshalle aus gelangte der Gutsherr durch eine Tür, deren Schwelle augenscheinlich später aus dem Mauerwerk herausgerissen wurde, in den ummauerten Hof (H). Wollte er ins Badgebäude (BDCEF), so konnte er dies offensichtlich nur durch die Tür (i), die in das Kaltwasserbad (frigidarium) (E u. F) führte. Die Türschwelle, ein Stubensandsteinquader, lag noch im Mauerverband. Die Verbindungen zu den anderen Räumen waren nicht mehr zu erkennen, da das Mauerwerk auch hier zu tief abgetragen war. Das Badegebäude, eine etwas einfachere Ausführung der üblichen Anlage, nahm den größten Teil des Hauptgebäudes ein. Ursprünglich gehörten wohl alle Räume, von B bis F, dazu. Erst später ist B als Wohnraum benützt worden. Reste von bunt bemaltem Wandverputz wurden auf seinem Fußboden, einem Kalkmörtelestrich, gefunden. »Was erst die Jetztzeit wieder als Forderung aufstellte: daß zu jeder Wohnung ein Bad gehört, war bei den Römern der Kaiserzeit eine Selbstverständlichkeit, und nicht nur in den Städten, sondern auch draußen in der Provinz und im abgelegenen Hof. Nach den vorliegenden Beobachtungen dürfen wir in jedem steingebauten Gehöft eine Badeanlage voraussetzen« (Paret).
Ein römisches Bad kann man nun mit einem heutigen Badezimmer ganz und gar nicht vergleichen. Es war viel geräumiger und großzügiger angelegt und entsprach in seinen Ausmaßen durchaus der Badefreudigkeit der Römer. Im Mittelstädter Gutshof gehörten allein vier Räume zum Bad, drei davon besaßen Fußboden- und Wandheizung. Der Raum C war wohl je zur Hälfte Umkleideraum (apodyterium) und Warmluftraum (tepidarium).
Eine Wand aus Heizröhren (tubuli) trennte sie voneinander. Im danebenliegenden Raum D befand sich zweifellos das Warmwasserbad (caldarium). Es war am leichtesten zu erwärmen, da es teilweise unmittelbar über dem Schürkanal lag. Neben dem Fußboden waren auch hier die Wände heizbar; sie waren völlig mit Heizröhren ausgekleidet, die ursprünglich unter einer dicken Verputzschicht lagen. Die Ausmaße der Heißwasserwannen waren am Verlauf der tubuli noch festzustellen, obzwar die Wannen selbst natürlich völlig zerstört waren.
Daß die Römer kaltes Wasser durchaus nicht scheuten, zeigte das Kaltwasserbad, das sogenannte frigidarium (E), in dessen mit Ziegelplatten verkleideter Wanne (1,95 X 1,20 m) man vom Raum F aus über eine Ziegelsteinstufe hinunterstieg. Vom sicherlich wasserfesten Verputz der Wanne war leider nichts mehr festzustellen, Verputzrillen in den Ziegelplatten an den Wannenwänden wiesen noch auf ihn hin. Der kalkarme Boden über der Ruine hatte ihn nach und nach aufgezehrt. — Ein Abflussrohr aus Ton führte von der Wanne aus durch die Nordwand ins Freie. Bemerkenswert an römischen Gutshöfen in Deutschland ist immer die zum Bad gehörende Fußbodenheizung (Hypokaustum). Sie erregt bei Grabungsbesuchern stets eine große, fast neidvolle Bewunderung und ist für sie der Inbegriff des römischen Wohnkomforts. Auch die Mittelstädter Villa rustica besaß eine solche Hypokaustanlage, die für damalige Verhältnisse ebenso einfach wie genial konstruiert war. Auf etwa so cm hohen Ton- bzw. Sandsteinpfeilerchen (zo x 20 cm) ruhte ein etwa 15 cm starker, dreifacher Fußboden, dessen unterste und oberste Schicht aus Ziegelplatten (5ox so cm und 25 x 25 cm) bestand, während dazwischen ein 8 cm dicker Kalkmörtelestrich lag. (Der Fußboden über dem Hypokaustraum C war anders gebaut, er war nur zweischichtig). Auf diese Weise entstand nun unter dem Fußboden ein etwa 5o cm hoher, kellerartiger Hohlraum. Im Schürloch und im anschließenden Schürkanal befand sich das Feuer dieser Heizung. Die dadurch entstehende Hitze verbreitete sich nun vom Schürkanal aus (dieser war aus Ziegelplatten verschiedener Größe und aus Dachziegeln gemauert) in den Hohlraum und erwärmte auf diese Weise den Fußboden und die in ihn eingelassenen Heißwasserwannen natürlich kräftig. Die Heißluft strömte dann weiter in die Wände des beheizten Raumes. »Sie waren mit Heizröhren oder Heizkacheln (tubuli) verkleidet. Es sind dies im Querschnitt rechteckige Ziegelröhren, die, aufeinandergesetzt, senkrechte Kanäle bildeten. — Die unterste Röhre reichte durch den Fußboden bis in den unteren Hohlraum (Pfeilerraum).
Mit solchen Röhren waren Wandteile oder die ganzen Wände eines Raumes verkleidet. Durch seitlich herausgeschnittene runde, vier- oder dreieckige Öffnungen standen die einzelnen Röhren mit den Röhren der Nachbarkanäle in Verbindung. Die in den Kanälen aufsteigenden Heizgase konnten sich daher gleichmäßig in den Wänden verbreiten. Dabei war äußerlich von dieser ganzen Anlage nichts zu sehen, da die Röhren unter einem dicken, bemalten Verputz lagen. Die mit einem kammartigen Werkzeug hergestellte Rillung der Röhren diente dem besseren Haften des Verputzes bzw. der Röhren an der Wand" (Paret).
Der Hohlraum unter dem Fußboden C empfing seine Heißluft mittels zweier durch die Mauer führender Kanäle. Der Estrich dieser beiden Räume über C, die wir als Umkleideraum (apodyterium) und Warmluftraum (tepidarium) bezeichneten, lag aus heiztechnischen Gründen um 20 cm höher als die Lauffläche des danebenliegenden Heißwasserbades (calslarittsst). Diese Höherlegung wurde jedoch erst später vorgenommen. Das zeigte deutlich die durch eine Erdschicht voneinander getrennte zweifache Steinvorlage unter den Hypokaustpfeilerchen. Ihnen war übrigens durchweg der 20 cm hohe Fuß abgeschlagen worden. Diese Eigentümlichkeit wird nur im Zusammenhang mit dem soeben erwähnten Umbau verständlich.
Der Keller befand sich nicht unter der Eingangshalle, wie es an sich in römischen Gutshöfen üblich war, sondern unter dem Eckturm M. In den Keller führte ganz offensichtlich keine Treppe sondern eine Rampe, deren Gefälle deutlich an der hinteren Mauer der Eingangshalle (L) sichtbar war. Ihre Fundamentgrenze verlief nämlich entsprechend der Schräge dieser Rampe. über eine mächtige Türschwelle aus grob gepicktem Stubensandstein betrat man den Kellerraum. Die beiden Türwangen, ebenfalls aus massivem Stubensandstein, standen noch an ihren im Schwellstein ausgesparten Plätzen. Sie waren jedoch in 1,10 bzw. 0,70 m Höhe abgeschlagen worden. Da auch der vermutlich aus Stubensandstein gehauene Türsturz nicht mehr gefunden wurde, dürfen wir wohl annehmen, dass die Ruine dieses Gutshofes im Mittelalter als willkommener Steinbruch benutzt wurde.
Hinweise für die Konstruktion der Kellertür fehlten völlig. Weder im Türgewände noch im Schwellstein befanden sich Löcher für Drehzapfen bzw. Angeln. Lediglich in dem einen Stein war ein Anschlag ausgespart. Auf der Schwelle hingegen wurde ein Fall-riegel gefunden, wie er heute noch da und dort anzutreffen ist. Dieser lässt allerdings auf eine Drehtür schließen. Man müsste sich dann aber dazu ein hölzernes Türgewände denken. Das von uns als steinernes Türgewände Angesprochene hätte dann mehr die Funktion von Stütz- bzw. Tragsäulen gehabt, auf denen ein Teil des darüberliegenden Eckturms (M) ruhte.
Der Keller war nicht überwölbt, sondern trug eine Balkendecke. Sehr viele Reste verkohlten Holzes auf dem Kellerfußboden ließen darauf schließen. (Diese hier gefundene Holzkohle sowie andere zahlreiche Brandspuren in der Ruine bestätigten unsere Ver-mutung auf eine Zerstörung durch Brand.) Licht fiel durch ein großes, schartenartiges Fenster in den Kellerraum herein. Das Fenster war, wie alle anderen Fenster dieses Gutshofes auch, verglast. Das etwas blasige, grüne Glas wurde in der untersten Schuttschicht des Kellers gefunden. Eine Art Milchglas fanden wir an anderen Stellen.
In der Westwand des Kellers war noch eine Abstellnische erhalten. Derartige Nischen fehlen in keinem römischen Keller. Die Kellerwände waren mit gut zugerichteten Stubensandsteinquadern gemauert. Ob sie verputzt und bemalt waren, wie der Keller in dem 1905 ausgegrabenen Gutshof in Betzingen, konnten wir nicht mehr feststellen.
Der Kellerboden bestand, wie in den meisten römischen Gutshöfen, aus dem gewachsenen, gestampften Boden. An einer Stelle legten wir eine auf dem Kellerboden liegende 10-20 cm starke Kiessandschicht frei, die offenbar zum Aufstellen von Spitzamphoren diente. Scherben von Amphoren konnten wir jedoch nirgends entdecken. Der sich hinter dem Eckturm M und der Eingangshalle (L) erstreckende Hofraum war nur teilweise überdacht. Der von Paret gebrauchte Ausdruck »Mittelhalle« ist hier deshalb nicht recht am Platze, wie wir überhaupt bezüglich des Hofraumes auf Grund unserer Grabungsergebnisse Paret zu widersprechen wagen. Er schreibt: »Früher meist als offener, unbedeckter Hof angesprochen, ist jetzt insbesondere durch die Arbeiten von Ölmann (Germania 1921, 64 und B.J. 133,51) der Mittelraum als überdachte Halle erwiesen worden.« (16)
Auf die Mittelstädter Villa rustica trifft dies nicht zu. Für die teilweise Bedachung seines Hofraumes sprechen folgende gewichtige Punkte: s. In dem größeren Teil des Hofraumes wurden keine oder nur vereinzelte Dachziegelscherben gefunden. 2. Durch den Hofraum führte ein Entwässerungsgraben, der nur dann verständlich ist, wenn der Raum selbst nicht oder nur teilweise überdacht war. 3. Der zu bedeckende Raum erscheint uns zu groß für das doch außerordentlich schwere und dabei noch verhältnismäßig flache römische Dach.
Wir sind eher der Meinung, dass nur der Kellereingang und der im Hofraum liegende Herd ein Dach trugen. In dieses Bild einer teilweisen Überdachung passt dann auch der Entwässerungsgraben, der uns anders nicht begreiflich ist. Ferner könnten dann auch die schweren Sandsteinblöcke als Basen für Säulen oder Stützbalken dieses Daches gedacht werden. Eine andere Bedeutung dieser Steine ist schwer vorstellbar.
Die Ausgräber fanden nun heraus, dass der Grundriss des Hauptgebäudes das Ergebnis eines Anbaus bzw. Umbaus ist. Wir dürfen annehmen, dass dieser Gutshof in zwei Bauperioden erstellt wurde, die sehr deutlich aus der Mauertechnik ersichtlich sind. Während das Mauerwerk des Bad-Traktes (B—F) und des Nebengebäudes (A) das Aussehen einer pünktlichen und in aller Ruhe erstellten Arbeit hat, erweckt das übrige Mauerwerk, mit Ausnahme des Kellers, den Eindruck einer rohen, flüchtigen Arbeit.
In einer früheren Periode sind wohl der Nebenbau (A) sowie der Gebäudeteil B bis F erbaut worden, dieser wurde anfänglich sicher nur als Bad benützt. Zu einer späteren Zeit entstand die dem Hofraum zugekehrte Mauer der Eingangshalle (L), der Keller mit dem darüberliegenden Eckturm (M) und die Hofmauer. Dadurch erhielt die Anlage nunmehr das Aussehen einer Villa rustica mit den für sie typischen, hervorspringenden Ecktürmen. Dieses Bild ist uns von fast sämtlichen bisher in Württemberg ausgegrabenen römischen Gutshöfen her bekannt.
Der spätere Einbau der südlichen Mauer der Eingangshalle, die erst die Errichtung einer Säulenfront ermöglichte, verfälschte den für Gutshöfe verbindlichen Grundriss insofern, als die Ecktürme jetzt mit der Eingangshalle eine Flucht bildeten, was an sich dem damaligen Baustil widersprach.
Durch die Tatsache dieser offensichtlich verschiedenen Bauperioden gerät der Ausgräber bei der Deutung der Anlage in einige Verlegenheit. Soll er annehmen, der Gutsherr habe sich, entgegen den bisherigen Grabungsergebnissen in römischen Gutshöfen, zuerst ein Bad und einen Speicher, dann ein richtiges Wohnhaus gebaut? Bei aller Badefreudigkeit der Römer dürfen wir dies wohl verneinen. Oder soll er vermuten, dass das Bad ursprünglich als alleinstehendes Gebäude zu einem größeren Wohnhaus gehörte, dessen Lage wir noch nicht kennen und das vielleicht aus irgend-einem Grunde plötzlich unbewohnbar wurde, so dass der Gutsherr sich genötigt sah, sich in aller Eile wieder einen kleineren, behelfsmäßigen Hof auszubauen? Das wäre sehr denkbar. Darüber Genaueres zu sagen, ist jedoch unmöglich. Vorläufig muss es darum bei Vermutungen bleiben.
Epona
Die Prunkstücke unter den Funden stellen zwei Reliefs der gallo-römischen Pferdegöttin Epona dar. Beide wurden im Kaltwasserbad geborgen. Erfreulicherweise ist das eine Relief aus Stubensandstein völlig erhalten. Das andere, etwas kleinere und künstlerisch nicht so wertvolle konnte leider nur bruchstückweise geborgen werden, seine Wiederherstellung war jedoch möglich.
Das wohlerhaltene Relief (31 x36 cm) zeigt uns Epona im Damensitz auf einern Fohlen oder Maultier. In der linken Hand hält sie die Zügel, in der rechten den Futterkorb, ein Attribut, das auf keiner Epona-Darstellung fehlt. Ihr Gesicht hat im Vergleich zu anderen bekannten Reliefs dieser Göttin nichts Damenhaftes an sich, sondern strahlt reine mütterliche Wärme aus. Die gelöste Haltung der Reiterin steht in reizvollem Kontrast zu dem stocksteif dastehenden Pferd, das ganz Gehorsam zu sein scheint, wartend auf den Anruf oder Zuspruch seiner Schützerin. Alles in allem gesehen, ein Relief von hohem künstlerischem Rang. Welche Bedeutung hatte Epona nun in der Religion der römischen Menschen, die damals bei uns wohnten?
Epona ist, wie schon angedeutet, eine ursprünglich keltische Muttergottheit. Ihr Name geht auf das keltische Wort epos bzw. equos zurück. Epona heißt darum so viel wie Born des Pferdes.
Die Darstellung der ursprünglich keltischen Göttinnen als Stuten ist insofern bedeutsam, weil sie die Kelten als Volk von Pferdezüchtern charakterisieren und auf frühe eurasische Beziehungen hinweisen.« Diese Göttin und »Königin der Pferde« wurde vor allem in jenen Gegenden verehrt, deren Volksstämme Pferdezucht betrieben, also in keltisch besiedelten Gebieten. Ob es nun Treverer, Arverner, Vindeliker, Ekler oder irische Kelten waren, alle verehrten Epona auf ihre Weise, auch wenn die Göttin einen anderen Namen trug, wie z. B. Mach in Irland. Selbst auf keltischen Goldmünzen fand sich ihr Bild, wie Funde aus dem pannonischen Raum zeigten.
Zentrum der Epona-Verehrung war ursprünglich zweifellos das damalige AIesia in Gallien. Dies bezeugt eine Inschrift auf einer bronzenen Votivtafel, die bei La Fandrelle, Alise-Saint-Reine (Bahnlinie Paris—Dijon) gefunden wurde; sie enthält nämlich eine kurze Widmung eines Satigenus, Sohn des Solemnis, an die Göttin Epona. Und wenn Vercingetorix, der Arvernerkönig, Alesia für seinen letzten Widerstand gegen die Legionen Julius Caesars wählte, so lag es möglicherweise eben daran, dass dies das Kulturzentrum der Epona, der heiligen Göttin war.
Die religiöse Toleranz der Römer führte dazu, dass sie auch die Götter der unterworfenen Völker anerkannten; sie waren für sie nur ein anderer Ausdruck der gleichen Wahrheit. So identifizierten sie deren Götter auf ihre Weise mit den eigenen, indem sie ihnen den Namen der lateinischen Verwandten beigaben; der keltische Gott Cissonius hieß dann eben Mercurius Cissonius; so gibt es deren viele Beispiele. Diese Toleranz gestattete auch die Verehrung der Epona im römischen Imperium; bei der an Stall und Ross interessierten Jugend der Städte wurde sie sogar eine Modegöttin und auf den Rennbahnen in Rom verehrt.
Daß Epona jedoch nicht von allen Pferdeliebhabern im römischen Reich verehrt wurde, versucht der Archäologe Georg Schreiber zu beweisen. Er hat die Weiheinschriften für die Epona daraufhin untersucht, wer sie verfasst hat. Das interessante Ergebnis,
zu dem er gekommen ist, lautet: »Oft einzelne Soldaten, ja sogar ganze Truppenteile, fast immer von keltischer Abkunft, haben sie verehrt, aber nie höhere Offiziere, Epona galt nämlich bei den Römern als nicht standesgemäße Gottheit, sondern als Schützerin der Pferde und Maultiere, auch der Esel, soweit diese als Tragtiere verwendet wurden. Ihre Verehrer waren demgemäß außer Soldaten fast nur Fuhrleute, Maultiertreiber und Stallknechte. Diese hielten freilich viel auf Epona, brachten ihr Bild in den Ställen an, umkränzten es mit Blumen und opferten ihm. Doch sie war mehr als nur deren Schützerin. Da das Pferd ihr heilig war, wurde sie auch zur Todesgöttin, denn das Pferd galt den Kelten als Seelenführer und als ein Mittel, ins Jenseits zu gelangen. Folglich wurde die Pferde- und Todesgöttin Epona zur Spenderin der Fruchtbarkeit und des Wachstumssegens, denn aus der Erde, in der die Toten ruhen, kommt ja das neue Leben.«
Als Besitzer von zwei Epona-Reliefs darf der damalige Inhaber des römischen Gutshofes im Lachenhau wohl als großer Verehrer dieser Göttin angesehen werden. Nach den obenstehenden Ausführungen dürfte er dann wahrscheinlich ein Römer keltischen Geblütes gewesen sein, ein Kelte von Geburt also, der als Soldat in römische Dienste trat, nach Ablauf seiner Dienstzeit als Veteran ein Stück Land auf der heutigen Markung Mittelstadt zugewiesen bekam und dort seinen Gutshof hinbaute.
Zusammenfassung der Grabungsergebnisse
Auf Grund der vorliegenden Grabungsbefunde dürfen wir nun folgendes feststellen: Am flachen Nordhang auf der heutigen Gemarkung Vorderer Lachenhau wurde in römischer Zeit ein Gutshof, eine sogenannte Villa rustica erbaut. Freigelegt wurden davon die Reste eines Wohnhauses und eines Nebengebäudes, das wohl als Speicher gedient haben mag. Auffallend war die große Zahl der Baderäume im Verhältnis zu den anderen Räumen. Apodyterium, tepidarium und caldarium besaßen Fußbodenheizung. Die Fußböden, Kalkmörtelestrich mit eingestampftem Ziegelkleinschlag, waren zum Teil noch erhalten. Außer Zweifel steht, dass das Wohngebäude in zwei deutlich verschiedenen Perioden errichtet wurde. Darauf weisen die in den beiden Bauabschnitten unterschiedlich ausgeführten Mauern hin. Zum Bau der zeitlich früheren Gebäude wurde Kalkmörtel verwendet, während zum späteren Anbau Lehm als Bindemittel benützt wurde. Eine sichere Stütze der Annahme von zwei Bauperioden geben auch die Dachziegelfunde. Es konnte festgestellt werden, das die Flachziegel der Dächer von Speicher und Badgebäude erheblich stärker waren als die vom Eckturm M und der Eingangshalle. Die leichteren Dächer sind dabei wohl zweifellos die zeitlich späteren. Da das ursprünglich alleinstehende Bad also offensichtlich vor der sehr flüchtig und roh fundamentierten Eingangshalle, dem Keller mit dem darüberliegenden Eckturm und der Hofmauer erbaut wurde, dürfen wir vielleicht annehmen, dass es anfänglich zu einem aus irgendeinem Grunde später abgegangenen Wohnhaus gehört hat, dessen Lage wir noch nicht kennen. Eine genauere Datierung dieser Villa ist leider nicht möglich, da Münzfunde oder gar Inschriften völlig fehlen. Die gefundenen Bodenstücke von Sigillata-Gefäßen mit den Namen der Töpfer Impetratus und Junius lassen jedoch die Annahme zu, dass der Mittelstädter Gutshof bereits im letzten Viertel des zweiten Jahrhunderts n. Chr. erbaut war. Zahlreiche Spuren weisen eindeutig auf Brandzerstörung hin, die wir wohl mit den Allemanneneinfällen um 233/34 n. Chr. bzw. mit der endgültigen Vertreibung der Römer durch die Alamannen um 259/60 n. Chr. in Verbindung bringen dürfen. Da die Grabungsergebnisse und damit die Kleinfunde von den zuständigen Archäologen noch nicht ausgewertet wurden, kann über das Fundinventar noch nichts Bündiges ausgesagt werden. Die zwei aufgefundenen Reliefs der Pferdegöttin Epona lassen uns vermuten, dass im Mittelstädter römischen Gutshof am Lachenhau ein Römer keltischen Geblüts gewohnt hat.
Wir haben versucht, auf den vorhandenen Mauerresten die ehemaligen Gebäude unseres römischen Gutshofes gedanklich zu rekonstruieren. Wiederherstellungsversuche von Paret, sowie römische Mosaiken, auf welchen ländliche Villen der damaligen Zeit zu sehen sind, halfen uns dabei. Das Bild (gezeichnet von Konrektor Müller, Mittelstadt) stellt das Ergebnis unserer diesbezüglichen Überlegungen dar: Eine kleine Villa rustica im typischen Stil der landwirtschaftlichen Bauten damaliger Zeit, links und rechts zwei Ecktürme, dazwischen die Eingangshalle mit der Säulenfront, ein kleines Badgebäude an den hinteren Eckturm anschließend, ein teilweise überdachter, umfriedeter Hofraum mit Einfahrt und in geringer Entfernung vom Wohnhaus ein speicherartiger Nebenbau. Die Wohnräume dürfen wir in den zweigeschossigen Ecktürmen vermuten. Dort gefundener, bunt bemalter Wandverputz bestärkt uns in dieser Annahme.
Trotz der ursprünglich sicher nicht vorgesehenen Erweiterung des Badgebäudes zu einem Wohnhaus ist es denn Baumeister dennoch gelungen, dem ganzen Anwesen das bezeichnende Aussehen einer üblichen römischen Gutshofanlage zu geben.