Kunstmühle Röhm
Wird der Name Mittelstadt in der näheren Umgebung, aus welchen Gründen auch immer, erwähnt, so verbindet sich damit stets in der Vorstellung das Bild des am Hang liegenden Ortes über dem Neckar, überragt von der auf einer vorstehenden Bergnase errichteten Kirche und der am Flussübergang sich ausbreitenden Mühle mit ihrem mächtigen Hochhaus. So ist das schon immer gewesen, wenn auch bescheidener, bis weit zurück ins Mittelalter, und die Uracher Forstkarte von Gadner aus dem Jahre 1544 wie auch die Abbildung aus dem Kieserschen Forstlagerbuch um 168o bestätigen die Mühle als ein Charakteristikum der Gemeinde. Laut den Wasserrechtsakten besteht das Wassertriebwerk bei der Mühle schon seit 1562. In den Akten des Württ. Staatsarchivs wird die Mühle jedoch schon u. a. erstmals am 19. Juni 1291 genannt im Zusammenhang mit dem Nonnenkloster Pfullingen. Die Klosterfrauen besaßen in Mittelstadt Häuser und Grundstücke— der Flurname Nonnenwasen deutet noch heute darauf hin —, und sie vergaben die in ihrem Besitz befindliche Mühle samt den dazugehörigen Wiesen und Äckern als erbliches Lehen. Es fiel jeweils nur an lebensfähige männliche Nachkommen, wurde bei deren Fehlen abgelöst und einer anderen Familie zugesprochen. Im Zehnthof wurde das Getreide gelagert und anschließend in der Mühle gemahlen. Sämtliche Bürger des Ortes waren an die Mühle gebunden. Sie durften in keiner anderen Mühle mahlen lassen. Wie aus einem Auszug aus dem Lagerbuch des Klosters Pfullingen vom Jahre 1684 hervorgeht, waren die Gänge der Mühle auf die einzelnen Bürger aufgeteilt, wofür diese »unablöslichen Hellerzins« auf Martini an das Kloster bezahlen mussten.
Nach der Auflösung des Nonnenklosters ging dessen gesamter Besitz auf das Land Württemberg über. Ein vom Herzog ernannter Klosterhofmeister hatte es zu verwalten und zu erhalten. Die Einkünfte flossen an den prachtliebenden Hof, dessen Kassen meist leer waren. Ausführlich berichtet der damalige Klosterhofmeister Renz über den Verkauf des Erblehens im Jahre 1761 an Johann Georg Röhm, dem ersten Glied der nun Zoo Jahre alten Geschlechterkette von Mühlenbesitzern aus der Familie Röhm, die wir schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts als Bürger und Bäcker im Ort antreffen.
Der vormalige Lehensinhaber der Mühle in Mittelstadt, Gabriel Weißhardt, führte einen sehr unbotmäßigen Lebenswandel und sah sich nachzunehmender Verschuldung gezwungen, unter Zurücklassung von Weib und Kind in der herzoglichen Armee unterzutauchen. Weil aber ein männlicher Nachkomme fehlte, musste sich der zum Pfleger über die Familie Weißhardt eingesetzte Metzger und Bauer Georg Walkher entschließen, das Lehen zu verkaufen. Nach Eingang der Genehmigung durch Herzog Karl Eugen kam das ganze Mühlgut unter den Hammer. — Johann Georg Röhm, geboren 13. 6. 1717, hatte in seiner Jugend im Gegensatz zu seinen Vorfahren, welche in den Akten als Bäcker, Bauern und Bürger erwähnt werden, als erster das Müllerhandwerk erlernt und lebte vorübergehend in Neckartenzlingen. Dort ist er aller Wahrscheinlichkeit nach seinem Handwerk nachgegangen. Es ist nicht verwunderlich, daß gerade er als Abkömmling eines alten, stets in Mittelstadt ansässigen Bäckergeschlechts in enger Beziehung zum Mahlgewerbe stand, sich selbst darin betätigte und nach dem Erwerb einer eigenen Mühle trachtete. Am 27. April 1761 kaufte er für 4500 Gulden laut Kaufakten e ... eine Mahlmühle am Neckar mit 3 Mahlgängen und z Gerbgang, samt deren darinnen befindlichen Mahlgeschirr«. Die Mühle wurde mit einem Wasserrad angetrieben. An Gebäuden sind ihm durch Kauf zugesprochen worden: » ... ein 4bündiger Schweinestall, die Hielfte der dabeistehenden Scheuer, ein . ganzer Stall und ein halber Keller im nächsten bei der Mühle stehenden Hause. Interessant ist weiter, zu erfahren, dass in dem Kaufpreis 'lt Viertel 13'h Ruten Hanfland, Morgen 2 Ruten Wiesen am Neckar und 3 Morgen Wald eingeschlossen waren. Allerdings hat er die mit dem Lehensgut verbundenen Beschwernisse in Form von Zinsen mit übernommen, und es ist wohl sein ganzes Trachten gewesen, dieseklösterlichen Gerednigkeiten so bald als möglich abzulösen. Daß .auch noch seine Nachkommen sich damit abzugeben hatten, ist dem Protokollauszug des herzoglichen Kirchenrats Pfullingen vom 23. 9. 1784 zu entnehmen. Es befasst sich mit der Bitte, den neuen Lehensträger und Inhaber Baltes Röhm,. geboren 26. 9. 1747, das ihm vom Amt Urach auferlegte Verbot, Pliezhäuser Bauern in seiner Mühle mahlen zu lassen, aufheben zu wollen. Weiter ist den alten Akten zu entnehmen, dass die Müller Karl und Christoph Röhm und der Müller Daniel Rau von Neckartenzlingen gegen die dem Müller Walz erteilte Konzession zur Errichtung einer Getreidemühle in Ofer-dingen im Jahre 1841 Beschwerde erhoben haben.
Johann Georg Röhm baute 1908 bei seiner Mühle ein Elektrizitätswerk. Die drei bis dahin vorhandenen Wasserräder mussten einer modernen, regulierbaren Francis-Turbine mit i8o PS Leistung weichen. Zu diesem Zweck musste der Mühlkanal entsprechend ausgebaut und oberhalb des Werkes entsprechende Wehranlagen nebst den dazugehörigen Betriebsvorrichtungen (Einlaßfallen, Rechen usw.) eingerichtet werden. Die neue Turbinen-Anlage wurde nach dem neuesten Stand der Technik erstellt.
Diesem raschen Aufstieg des Unternehmens folgte kurz vor Ausbruch des i. Weltkrieges ein harter Rückschlag. Am 14. Juni 1914 ist das gesamte Mühlenanwesen vollständig einem Großbrand zum Opfer gefallen. Doch Johann Georg ließ sich in seinem unermüdlichen Streben nach vorne nicht erschüttern. Bereits im gleichen Jahr wurde mit dem Wiederaufbau des Mühlen- und Wohngebäudes begonnen, wovon letzteres seine damals erhaltene Gestalt jetzt noch hat. Fast gleichzeitig, im September 1916, wurde die Ölmühle an der Stelle, wo bislang Scheuer und Stall standen, in ihrer jetzigen Größe erbaut. Die Einrichtung von der alten Ölmühle wurde größtenteils übernommen, soweit sie von den Flammen verschont geblieben war. Gleichzeitig mit dem Wiederaufbau ging man daran, den Unterkanal zu verlängern und zu verbreitern, sowie das Turbinenhaus zu vergrößern. Dadurch war die Möglichkeit gegeben, 1915/16 eine weitere Turbine zur Stromerzeugung mit 256 PS in Betrieb zu nehmen. Der Stromverbrauch in den angeschlossenen Gemeinden war bereits entsprechend angestiegen.
Ein großes Risiko war für Johann Georg Röhm der Ausbau des oberen Wehres und des Oberkanals im Jahre 1915. In dieser Zeit hat er oftmals nicht ruhig schlafen können. Doch der Neckar ist ihm hold gewesen.
Infolge weiteren Stromabsatzes wurde im Jahre 1921 auf Gemarkung Bonladen/Filder, nachdem Verhandlungen mit der Gemeinde Walddorf bezüglich der Erstellung einer Mahlmühle gescheitert waren, ein größeres Grundstück erworben und darauf eine Mühle gebaut und eingerichtet. Im E-Werk wurde 1927 eine dritte Turbine (257 PS) montiert und dafür die Dieselanlage stillgelegt. Gleichzeitig wurde die Stromversorgung der Gemeinde Neckartenzlingen übernommen und das bis dahin von der Firma Melchior betriebene Stromversorgungsnetz käuflich erworben.
Im Elektrizitätswerk mussten die im Jahre 1932 mit sämtlichen Gemeinden abgelaufenen Konzessionsverträge erneuert werden. Es wurden neue, bis 195o laufende Verträge abgeschlossen. Im Mühlenbetrieb wurde zur Unterbringung der angeschafften Kraftfahrzeuge, welche die Pferdefuhrwerke allmählich verdrängten, im Jahre 1931 neben dem Scheuer- und Stallgebäude eine große Doppelgarage mit darüberliegen-der Wohnung erstellt.
Im Sommer 1948 wurde das gesamte Wehr um 15 cm erhöht und damit die Leistungsfähigkeit der drei eingebauten Turbinen mit zusammen 450 kW um weitere 3o kW gesteigert. Die Kriegs- und Nachkriegsjahre des zweiten Weltkrieges waren für das gesamte Unternehmen eine harte Zeit, denken wir nur an die Mehl-, Öl- und später auch Stromrationierungen, die Demontage der Kupferleitungen, die großen Materialbeschaffungsschwierigkeiten im E-Werk und die Einberufung von sämtlichen wehrtauglichen Leuten, welche durch Nichtfachleute ersetzt werden mussten.
Ein tragisches Unglück ereignete sich im Herbst 1950. Am 20. September ist die gesamte Getreidemühle, die kurz vorher mit neuen Maschinen ausgestattet wurde, infolge Explosion von Staub in einem Elevator bis auf die Grundmauern einem Großbrand zum Opfer gefallen. Auch das Wohn- und Hintergebäude wurden dadurch schwer in Mitleidenschaft gezogen. Insgesamt ist ein Schaden von rund einer halben Million DM entstanden. Sofort ging man daran, die Mühle wieder am gleichen Platz und in größerem Umfang zu erstellen. Im Februar 1952 konnte die neue Mühle, welche von der Firma Suka, München, gebaut und von der Firma Magos, Gossau/ Schweiz, eingerichtet wurde, bereits in Betrieb genommen werden.
Es werden heute von der Mühle weit über den Kreis Reutlingen hinaus Qualitätsmehle, insbesondere in den Kreisen Nürtingen, Tübingen, Hechingen, Ebingen, Böblingen, Calw und nicht zuletzt im Raum Stuttgart verkauft. Zu der Kundschaft zählen rund 600 Bäckereien. Diese bzw. deren Einkaufsgenossenschaften werden turnusmäßig von zwei Vertretern besucht und beraten. Zwei große Lastzüge sind vorhanden. Sie holen Weizen und Roggen und bringen das bestellte Mehl rasch und zuverlässig zu den Kunden.
In der Mühle wird überwiegend Weizen vermahlen. Ein großer Teil davon ist qualitativ bester Auslandsweizen. Zusammen mit dernweniger kleberreichen Inlandsweizen kann damit eine stets gute Mehlqualität gewährleistet werden. Diese wird in der Mühle selbst insofern gefördert, als die Pneumatik, wodurch das Mahlgut während des ganzen Verarbeitungsprozesses gefördert wird, auf dasselbe trocknend wirkt, was für das Bäckerhandwerk sehr von Nutzen ist. Die Röhmische Mühle beschäftigt zur Zeit 6o Arbeiter und Angestellte.